editorial
: Das Virus der Idiotie

Warum Bücher kein humanistisches Heilmittel gegen den Irrsinn unserer Zeit sind – und es doch sein können

Die Vorstellung, dass Bücher ein probates Mittel gegen Idiotie sind, ist selbst idiotisch. Selbst ein hoher Bildungsgrad ist kein hinreichender Indikator für Unidiotie. Den einfachsten Gegenbeweis liefern einige sehr wohl gebildete Ultrakonservative und Rechtsradikale. Bücher und Bildung allein sind noch kein hinreichendes Hilfsmittel für Fortschritt und allgemeinen Humanismus. Dennoch sind sie hilfreich gegen die gegenwärtig grassierende Idiotie, die vor allem rassistisch, antisemitisch und frauenfeindlich auftritt – eine alte Mischung in neuem Gewand, aber über 2.000 Jahre alt.

Die neuen sozialen Medien haben die Öffentlichkeit demokratisiert, das ist gut. Aber sie haben auch die gewalthafte Kommunikation, die Lüge und das Vorurteil größer gemacht. Deshalb sind die gut recherchierten Sachbücher und ist die ernsthafte Auseinandersetzung mit ihnen wichtiger denn je. Denn der Kulturtheoretiker Zoran Terzić, dessen Buch über das „Denken und Handeln im Zeitalter des Idioten“ wir Ihnen neben anderen in dieser literataz vorstellen, hat recht, wenn er schreibt, dass niemand, der einigermaßen versteht, was heute passiert, sich davon distanzieren kann.

Aber hat die Gegenwart die Idiotie exklusiv? Sicher nicht. Die Romane und Prosawerke, die wir vorstellen, erzählen auch allzu oft von den Irrwegen und der Idiotie in der Vergangenheit. Abbas Khider etwa schreibt in „Palast der Miserablen“ über den Irak unter dem Terrorregime von Saddam Hussein. Ein Ausweg für den Erzähler ist übrigens die Welt der Bücher. Anna Burns’ Roman „Milchmann“ dagegen spielt in Nordirland zur Zeit des bewaffneten Konflikts und erzählt von männlicher Gewalt in vielerlei Ausprägungen – etwas, wovon auch die Protagonistin in Tanya Tagaqs Buch „Eisfuchs“ zu berichten weiß. Die Erzählerin ist eine Inuk, wächst in der kanadischen Arktis auf und leidet unter dem System der Residential Schools und unter der dortigen Rape Culture. Eine Geschichte, die daran erinnert, dass Idiotie besonders gut dort gedeiht, wo Machtstrukturen verhärtet sind und wo das Gemeinwesen nicht dialogisch funktioniert, sondern Menschengruppen segregiert werden.

Die Frühjahrs-literataz erscheint diesmal nicht zur Leipziger Buchmesse, da diese bekanntlich wegen der Ausbreitung des Coronavirus ausfällt. Gegen Sars-CoV-2 können Bücher sicher nichts ausrichten. Wir hoffen aber, Sie finden in dieser Beilage die richtigen Bücher, um gewappnet zu sein gegen das Virus der ­Idiotie. Tania Martini, Jens Uthoff