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Archiv-Artikel

„Sturm im Wasserglas“

Parteienforscher Paul Nolte über den Streit um Aussagen der WASG-Spitzenkandidatin Brinkmann – und die Chancen der Linkspartei in Bremen

taz: Die Spitzenkandidatin der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit WASG, Antonie Brinkmann, hat sich für den serbischen Ex-Präsidenten Slobodan Milosevic stark gemacht und ist so auf die heftige Kritik der Altparteien gestoßen. Ist die Kritik berechtigt?

Paul Nolte: Ich finde die Äußerungen von Frau Brinkmann ziemlich abenteuerlich und meine, die Kritik daran ist höchst berechtigt. Wer das Haager Tribunal in Frage stellt, der muss auch die Nürnberger Prozesse verwerflich finden.

Ist die Linkspartei dadurch unwählbar geworden, wie es die Grünen formuliert haben?

Verrückte Äußerungen gibt es in jeder Partei ab und zu. Für mich ist damit klar, dass diese Partei große Schwierigkeiten hat, ein konsistentes Programm aufzustellen und sich in das demokratische Spektrum einzuordnen.

Welches Wählerpotenzial hat die Linkspartei?

Ein sehr diffuses, auch regional sehr unterschiedliches. Im Osten sind das natürlich in erster Linie die bisherigen Anhänger der PDS. Im Westen ist das anders. Da sind das eher enttäuschte Linke, die nicht mehr bei der SPD oder den Grünen ihre Heimat finden, zum Teil schon lange nicht mehr. Aber auch innerhalb des Westens gibt es Unterschiede: In Bremen etwa gibt es einerseits das akademische altlinke Potenzial, gleichzeitig aber auch die bildungsfernen Schichten und Stadtteile. Dort spricht die WASG eher diffuse Unzufriedenheit an.

Lassen sich von Rot-Grün enttäuschte WählerInnen durch Brinkmanns Äußerungen abhalten, ihr Kreuz bei der Linkspartei zu machen?

Sie sollten noch einmal darüber nachdenken, ob eine Wahl innerhalb des demokratisch reflektierten Parteienspektrums nicht besser wäre.

Welche Auswirkungen können solche Tabubrüche auf die Wahlentscheidung haben?

Ich glaube, dass man einen solchen Bremer Sturm im Wasserglas nicht zu hoch hängen sollte. Bundespolitische Prominenz hat dieser Streit jedenfalls noch nicht gewonnen. Im Grunde zeigt das nur, dass sich hier Menschen zu Helden erklären, die etwas Unanständiges sagen. Das ist immer der gleiche Mechanismus, egal ob es um den Judenmord geht oder etwas anderes.

In SPD und CDU qualifiziert man die Kandidaten der Linkspartei jetzt als Wirrköpfe ab.

Das Spitzenpersonal der Linkspartei insgesamt ist von Lafontaine bis Bisky natürlich politisch hochkarätig und nicht zu unterschätzen. Ich gehe nicht davon aus, dass sich jemand wie Frau Brinkmann längere Zeit an der Spitze halten kann.

Können SPD und Grüne die abtrünnigen Mitglieder und Wähler wieder einfangen?

Ja, meines Erachtens schon. Ich sehe bei der Linkspartei kein eigenes Programm und keinen eigenen Lebensentwurf, von dem zum Beispiel die grüne Bewegung getragen wurde. Die Linkspartei ist sehr defensiv und anlassgebunden. Da ist viel Luft drin, die noch entweichen wird.

Wie sieht Ihre Prognose für die Bundestagswahl aus?

Bei acht Prozent könnte ich mir die Linkspartei ganz gut vorstellen. Interview: Jan Zier