: Roboter ins eigene Fleisch
Automatenspleen und posthumaner Trash: Lüstern erforscht die Ausstellung „Der montierte Mensch“ im Museum Folkwang in Essen die Maschine als künstlerischen Antrieb
Von Ulf Erdmann Ziegler
Das Thema Mensch und Maschine ist in der Kunstgeschichte ein heißes Eisen. Die Begeisterung, sofern sie Künstler erfasste, mündete entweder im Ikonoklasmus oder in der Verehrung von Diktaturen, die aus Zivilisten Rädchen machten. Umgekehrt gab es durchaus eine Maschinenangst, am offensichtlichsten die von Malern vor dem fotografischen Apparat. Die Maschine selbst hat fundamentale Ängste ausgelöst, und zwar paradoxe: entweder als Mensch ihr ähnlich zu werden, am Fließband zum Beispiel, oder von ihr ersetzt zu werden, dem Roboter.
Der robot – das ist eine von vielen Entdeckungen einer anspruchsvollen Ausstellung im Museum Folkwang – taucht bereits 1921 auf, eine literarische Adaption des tschechischen Worts für den Fronarbeiter. Der Roboter lässt das Schema von Leib und Seele hinter sich und imitiert dennoch die menschliche Anatomie. Vorläufer sind die metallisch leuchtenden Supermänner von Ferdinand Léger – damit setzt der Parcours von „Der montierte Mensch“ ein –, wenig später aufgegriffen in Oskar Schlemmers konisch geschliffenen Bühnenfiguren. Obwohl die Menschmaschine im Prinzip dehumanisiert, löst sie doch ein gewisses Wohlgefallen aus, analog zum Tier, in dem sich der Mensch (zu Recht oder zu Unrecht) gespiegelt sieht.
Den Kuratoren der Ausstellung kann man lüsternes Forschen attestieren. Ohne sich auf geschichtsphilosophische Deutungen festzulegen, haben sie tief geschürft. Da findet man eine winzige transparente Plastikbüste von Antoine Pevsner (1923/24), eine konstruktive Bastelei, aus der sich ein Profil herausschält; eine Postkarte von Max Ernst (1921), die einen Humanoiden in einer Blechbadewanne zeigt, welche aber in Wirklichkeit der Unterbau einer Pilotenkanzel ist. Rekonstruiert und deshalb ohne jede Patina: „Der wildgewordene Spießer“ von George Grosz und John Heartfield, laut Katalog eine „Schneiderpuppe, Revolver, Klingel, Messer und Gabel, ‚C‘, ‚27‘, Gebiss, schwarzer Adlerorden, EK II, Osram Glühbirne“. Das Gebiss der Figur, die im Ersten Weltkrieg ein halbes Bein gelassen hat, ist ihr allerdings vertikal als Vagina dentata in den Schritt gesetzt. Eine interessante Öffnung zum Modethema unserer Zeit: „Gender“.
Die Technik wird begrüßt als die bessere Kunst, der Künstler schwingt sich auf zum Ingenieur, der Fortschritt rüttelt an den Türen der Tradition. Auf der anderen Seite Ironie, Camp und Persiflage. Mit der Rekonstruktion der Ausstellung „Man, Machine and Motion“ (am Londoner ICA, 1955) nimmt man in Essen Abschied vom Paradigma Maschinenverehrung vs. Maschinenkritik.
Den Raum- und Gedankenteiler der Ausstellung bildet ein fieses, großes Gemälde von Konrad Klapheck, das vor Weltuntergangsrot eine Gruppe humanoider Apparate auf dem Vormarsch zeigt: „Krieg“ (1965). Ab dann ist die Kritik an der Technik auch immer Selbstkritik, wenn nicht gar Selbstzerfleischung, wie im grauenerregenden fotografischen „Poema“ von Lenore de Barros (1979), das den schwer sexualisierten Kampf einer weiblichen Zunge mit der Mechanik einer Schreibmaschine zeigt. Ein mehr oder weniger animiertes Video von John Rafman, „Codes of Honor“ (2011), erzählt die männliche Seite, die Sucht nach Maschinen, beginnend mit dem Spielautomatenspleen eines Jungen in der Pubertät.
Eine stille Pointe setzt ein Ensemble von Josh Kline, das auf einem amerikanischen Hausmeisterwagen unter die berufsbedingten Artefakte menschliche Körperteile gemischt hat. Die Brillanz der Skulpturen hat zu tun mit einer Kombination von Gipsformen und 3-D-Drucker. Die Arbeit von 2015 zielt mit dem Titel „Nine to Five“ auf die Entmenschlichung durch Arbeitsroutinen, erinnert aber auch an die vielen Toten in den Schulen der USA; ein besonders bizarres Kapitel in der Geschichte von Mann und Maschine.
Die Essener Ausstellung lebt von einer gewissen Pragmatik im kulturhistorischen Diskurs. Sie wird auf kuriose Weise zusätzlich beleuchtet durch eine Kabinettausstellung über „Science Fiction und Popkultur“, bestückt mit Filmplakaten, Spielzeugen und Plakaten aus dem Maison d’Ailleur in der welschen Schweiz. Merkwürdigerweise zeigt diese Sammlung von Trash – betitelt „I was a Robot“ –, dass die Besessenheit vom Posthumanen zutiefst menschlich ist.
Bis 15. März, Museum Folkwang, Essen. Katalog (Kerber Verlag ) 20 Euro beziehungsweise 39,90 Euro. Symposium „Homo Ex Machina“ am 6. und 7. März
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen