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Massaker an der Marikana-Mine

SÜDAFRIKA Eine Demonstration bewaffneter streikender Bergarbeiter endet mit dem blutigsten Polizeieinsatz am Kap seit Ende der Apartheid. 30 Tote – die Nation ist entsetzt

Die Streikenden fordern eine Lohnerhöhung von 400 auf 1.200 Euro im Monat

AUS JOHANNESBURG MARTINA SCHWIKOWSKI

Schüsse aus automatischen Polizeigewehren knallen in grelles Gegenlicht. Auf dem Hügel, den die wütenden Streikenden der Platinmine Marikana besetzt halten, sackt ein Körper nach dem anderen leblos im Kugelhagel zusammen. Erst dann stellt die Polizeiriege das Feuer ein. Am Ende des Massakers liegen mehr als 30 Tote und zahlreiche Verletzte verstreut am Hügel des armen südafrikanischen Townships Nkanini bei Rustenburg.

Südafrika ist außer sich vor Empörung. Die Bilder laufen in den TV-Abendnachrichten, die Öffentlichkeit ist entsetzt. Der Polizeieinsatz vor der Mine erinnere an das Sharpeville-Massaker von 1960, als weiße Polizisten ohne Zögern auf protestierende Schwarze schossen, erklärt das „South African Institute of Race Relations“ und verlangt die sofortige Suspendierung der Beamten. Südafrikas Polizei ist heute schwarz-weiß gemischt, aber seit die Polizei 2009 im Kampf gegen die ausufernde Kriminalität den Befehl „Shoot to kill“ bekommen hat, agiert sie immer wieder brutal, auch bei Arbeitskämpfen.

Bereits am Dienstag waren zehn Menschen, darunter zwei Polizisten, in Marikana durch Macheten und Schüsse ums Leben gekommen. „Was soll die Polizei tun, wenn sie es eindeutig mit bewaffneten und schweren Kriminellen zu tun hat, die Polizisten ermorden?“, reagierte Polizeiminister Nathi Mthetwa auf Vorwürfe. Die Polizisten seien aus der Menge heraus beschossen worden, heißt es. Aber ob das als Begründung ausreicht, um 30 von ihnen zu erschießen, bleibt umstritten. Die meisten Demonstranten trugen nur Stöcke und Macheten.

Südafrikas Präsident Jacob Zuma verließ sofort den regionalen SADC-Gipfel im benachbarten Mosambik, um das Krisenbergwerk zu besuchen. Dort streiken die Bergarbeiter seit einer Woche. Rivalitäten zweier Gewerkschaften begünstigten die Eskalation. Die seit 25 Jahren in Südafrika dominante Bergarbeitergewerkschaft NUM (National Union of Mineworkers), Teil des mit dem ANC gemeinsam regierenden südafrikanischen Gewerkschaftsdachverbandes Cosatu, hat Konkurrenz bekommen: Die neue Gewerkschaft AMCU (Association of Mineworkers and Construction Union) rekrutiert im Platingürtel im Nordwesten Johannesburgs und argumentiert, sie könne bessere Löhne aushandeln, weil sie regierungsunabhängig sei.

Die Streikenden fordern eine Lohnerhöhung von rund 4.000 bis 6.000 Rand pro Monat auf 12.000 (ca. 1.200 Euro). Seit Tagen hatten sie sich auf dem Hügel am Rande des Townships Nkanini bewaffnet und mit Decken gegen den Winter ausgeharrt. Es waren die Ärmsten der Armen, die Steinbohrer der Marikana-Mine. Sie machen den gefährlichsten Job unter Tage und werden am schlechtesten bezahlt. Oft stammen sie aus dem Nachbarland Lesotho oder von der armen Ostkap-Provinz Südafrikas. Sie fühlen sich von der NUM nicht repräsentiert.

Die NUM behauptet, die AMCU-Führung habe den Demonstranten am Donnerstag eingeredet, zum Tode bereit zu sein, anstatt den Protesthügel zu verlassen. Ein solches Verhalten gehörte in Zeiten der weißen Unterdrückung zum Motto der Anti-Apartheid-Kämpfer.

Die Marikana-Mine ist das Hauptwerk des Bergbaukonzerns Lonmin. 2011 wurden dort rund 694.000 Unzen Platin gefördert. Der Lonmin-Börsenkurs fiel in Reaktion auf das Blutbad um 5 Prozent auf ein Vierjahrestief, die Einbußen seit Streikbeginn stehen bei 20 Prozent und Lonmin musste seine südafrikanischen Werke schließen, das bedeutet 12 Prozent Minus in der globalen Platinproduktion.

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