: Beteiligung als Einbahnstraße
DEMOKRATIE Nachdem die Betreiber des Höchstspannungsnetzes die Bürgerkritik in ihren Netzentwicklungsplan eingearbeitet haben, sieht der so aus wie vorher. Wie kommt das?
VON HANNES KOCH
BERLIN taz | Die Stromfirmen sagen, sie seien auf die „Akzeptanz der breiten Öffentlichkeit“ angewiesen. Das steht jedenfalls im Plan für die neuen Stromleitungen, die bald gebaut werden sollen. Kritik von Bürgern und Verbänden haben die Unternehmen bislang allerdings nur am Rande berücksichtigt. Welchen Sinn hat eine Bürgerbeteiligung, die folgenlos bleibt?
Um die Energiewende zu schaffen, müssten unter anderem 1.700 Kilometer Gleichstromleitungen neu gebaut werden, heißt es im Netzentwicklungsplan der privaten Betreiber des deutschen Höchstspannungsnetzes. Im Mittelpunkt stehen vier Starkstromleitungen, die Windstrom von Nord- und Ostsee nach Süddeutschland transportieren sollen. Dank eines entsprechenden Gesetzes konnten Bürger und Verbände in diesem Sommer dazu schriftliche Stellungnahmen einreichen, die berücksichtigt werden müssen. Der überarbeitete Entwurf des Plans soll am Montag öffentlich gemacht werden, der Bundesnetzagentur liegt er seit Mittwoch zur Genehmigung vor. Klar ist: Es gibt kaum Änderungen gegenüber dem ersten Entwurf. Weiterhin stehen vier Nord-Süd-Leitungen in den Unterlagen.
Auch die Deutsche Umwelthilfe hatte eine Stellungnahme an die Betreiber geschickt. Sprecher Gerd Rosenkranz sagt nun: „Die Bürgerbeteiligung darf nicht zur bloßen Legitimationsmaßnahme degradiert werden.“ Die Umwelthilfe wie auch der Umweltverband BUND sähen zwar, dass sich die Stromfirmen mit den Argumenten auseinandergesetzt und Erläuterungen eingearbeitet hätten. Die grundsätzliche Kritik sei allerdings nicht berücksichtigt worden.
Diese zielt unter anderem darauf, dass später vielleicht nicht so viele Nord-Süd-Trassen gebraucht werden, wie es die Unternehmen heute annehmen. Schließlich geht der Ausbau der Windparks auf Nord- und Ostsee langsamer voran als der von Wind- und Solarenergie an Land.
Eigentlich wollen Netzagentur und Bundesregierung den sogenannten Bundesbedarfsplan, der die Trassen beinhaltet, bereits dieses Jahr verabschieden. Rosenkranz rät dagegen, die kritischen Stellungnahmen zu beachten: „Nicht alle Leitungen sollte man 2012 gesetzlich fixieren. Es wäre besser, sich auf die Trassen zu beschränken, die bald tatsächlich gebraucht werden.“
Aber muss man wirklich befürchten, dass in Kürze unverrückbare Fakten geschaffen werden? „Nein“, sagt etwa Marian Rappl, der Sprecher des Netzbetreibers Amprion aus Dortmund. Der Bedarf an Leitungen werde jedes Jahr aufs Neue von der Netzagentur geprüft. Gegenwärtig laufe bereits die Konsultation für 2013. Und jedes Mal hätten auch Bürger und Verbände das Recht, sich an dem Verfahren zu beteiligen. Auch der gesetzliche Bundesbedarfsplan werde in drei Jahren erneut debattiert, so Yvonne Grösch, die Sprecherin der Netzagentur.
„Theoretisch richtig“, sagt Thorben Becker, der Energieexperte von BUND. „Das bedeutet aber nicht, dass Betreiber und Netzagentur die Stellungnahmen der Bürger und Verbände auch Ernst nehmen.“
Grundsätzliche Zweifel am Verfahren des Netzentwicklungsplans hegt Volker Mittendorf von der Forschungsstelle Bürgerbeteiligung der Universität Wuppertal. Zu wenige Bürger und Verbände hätten sich am Verfahren beteiligt. Während grundsätzlich jeder erwachsene Deutsche hätte teilnehmen können, gingen im Juni und Juli tatsächlich lediglich 2.100 Stellungnahmen bei den Betreibern ein. „Die öffentliche Wahrnehmbarkeit des Verfahrens ist gering“, so Mittendorf. Offenbar hätten nur wenige Bürger von der Beteiligungsmöglichkeit gewusst.
Hat die Bundesregierung zu wenig Werbung gemacht? Jedenfalls könnte ein ernsthaftes Problem entstehen, meint Mittendorf: „Die Hoffnung, mit der gegenwärtigen Bürgerbeteiligung spätere Proteste zu verringern, dürfte sich als falsch erweisen.“ Mittendorf schlägt vor, entlang der künftigen Trassen Bürger auszulosen, um sie zu einer verbindlichen Mitarbeit im Beteiligungsverfahren zu bewegen.