Aus dem Süden in den Osten

Die deutsch-holländisch-brasilianische Band Zuco 103 baut Samba- und Bossa-Rhythmen elektronisch nach

Zum kreativen Prozess gehören bei Zuco 103 Lust, Disziplin, aber auch politische Diskussionen

Auf Musik tanzen? Für den Drummer Stefan Kruger und den Keyboarder Stefan Schmid, beides studierte Jazzmusiker, war das anfangs eine befremdliche Vorstellung. Dabei hatten sie in ihrer 15-jährigen gemeinsamen Musikerkarriere schon alles Mögliche fusioniert. In ihre Jazz-Kompositionen mischten sie afrokubanische Santeria-Rhythmen, eine Big Band ließen sie handgemachten Drum ’n’ Bass spielen, und ihre Jazz-Kollegen schikanierten sie mit Samba und Bossa. Doch erst mit ihrer Band Zuco 103 lösten sie sich vom Diktum der handgemachten Instrumentalmusik und holten sich die Elektronik auf die Bühne. Seitdem lösen ihre Alben vor allem einen Impuls aus: Bewegungszwang.

Zuco 103 wurde Ende der Neunzigerjahre von dem Münchner Stefan Schmid, seinem niederländischen Jazz-Kollegen Stefan Kruger und der Brasilianerin Lilian Vieira in Rotterdam gegründet. Der Name lehnt sich an das portugiesische Wort für Saft an, die Nummer 103 wurde willkürlich gewählt. Inzwischen hat das Trio bereits die halbe Welt bereist und auch schon einmal in Brasilien gespielt. „Die Reaktionen dort waren seltsam“, erinnert sich Stefan Schmid. „Zuerst waren die Leute gegenüber den elektronischen Beats sehr reserviert. Aber als sie gemerkt haben, dass es brasilianische Rhythmen sind, schlug die Skepsis allerdings bald in Begeisterung um.“

Zuco 103 passen in keine der gängigen Schubladen, auch wenn ihnen gerne das überdehnte Label „Brasilectro“ aufgedrückt wird. Waren ihre bisherigen Alben „Tales of High Fever“ und „Outro Lado“ noch nahe an brasilianischen Rhythmen gebaut, so haben sie sich mit ihrem dritten Album endgültig von klaren Schubladen entfernt. „Whaa!“ klingt nicht zufällig nach einem Befreiungsschrei. Das Album baut noch immer auf Latin-Rhythmen und Elektrobeats auf, doch die Bezugspunkte sind vielfältiger, nicht zuletzt dank musikalischer Kooperationen mit dem Sänger Dani Macaco aus Barcelona und der Dub-Legende Lee Perry. Für Stefan Schmid ist diese Bandbreite nichts Ungewöhnliches. „Ich habe mich immer über niederländische Journalisten gewundert, die fragten: Wie ist es denn so, in einer multikulturellen Band zu spielen? Ein Deutscher, ein Holländer, eine Brasilianerin – warum versteht ihr euch so gut? Ich kann nur sagen: Für uns ist das Normalität. Aus dieser Vielfalt beziehen wir unsere musikalische Kraft.“ Der Musiker schüttelt mit dem Kopf. „Bei solchen Fragen denke ich immer, da hat jemand was nicht verstanden.“

Schmid zog vor 15 Jahren von München nach Holland, um dort Jazz zu studieren. Die Sängerin Lilian Vieira lernten er und Stefan Kruger am Konservatorium in Rotterdam kennen, wo sie Gesang studierte. Dass die drei sich optimal ergänzen, stellte sich schon nach der ersten Session im Studio heraus. „Wir hatten nach einer halben Stunde ein Demo fertig, da war das Grundgefühl für den Song schon drin“, sagt Stefan Schmid. Zum kreativen Prozess gehören bei Zuco 103 Lust, Disziplin, aber auch politische Diskussionen: über die globale Asymmetrie zwischen dem Norden und dem Süden, über die Flüchtlingsproblematik und über die Armut in Lateinamerika – Themen, die auch immer wieder in die portugiesisch gesungenen Texte einfließen.

Zu Denken gibt Stefan Schmid aber auch der Kontrast zwischen der Abgeklärtheit im Westen und der Euphorie, der Zuco 103 begegnen, wenn sie in Osteuropa spielen. Kürzlich waren sie etwa in Sofia. „Auf einmal stehen da 5.000 Leute, und die ersten fünf Reihen singen die Texte mit“, staunt Schmid noch heute. Noch mehr staunte er allerdings, als er herausfand, dass es in Bulgarien sogar eine Zuco-Coverband gibt. „Die Sängerin kann zwar kein Portugiesisch“, hat Schmid fest gestellt. „Aber sie singt die Texte lautmalerisch nach.“

MIRKO HEINEMANN

Zuco 103: „Whaa!“ (Crammed Discs/Zyx)