: Verräter oder Helden?
Streit innerhalb Polens Solidarność überschattet die 25-Jahr-Feier. Einstige Mitbegründer fühlen sich verraten
KRAKAU taz ■ Ende August soll die Solidarność groß gefeiert werden. „In Danzig fing alles an“, verkünden riesige Plakate in ganz Polen. Vor 25 Jahren wurde in der Danziger Leninwerft die erste unabhängige Gewerkschafts- und Freiheitsbewegung im damaligen Ostblock gegründet. Sie brachte in der Folgezeit das kommunistische Regime in ganz Osteuropa zum Einsturz. Doch die Feierstimmung wird überschattet von einem Streit. Lech Walesa habe nicht das Recht, im Namen der Solidarność Staats- und Regierungschefs aus aller Welt nach Danzig einzuladen. Die „richtige“ Solidarność von 1980 vertrete nicht er, sondern Anna Walentynowicz, Andrzej und Joanna Gwiazda.
Die ursprünglichen Solidarność-Mitgründer, die der legendäre Arbeiterführer Lech Walesa nach und nach ausgebootet hat, fahren heute schweres Geschütz auf. Sie werfen Walesa und seinen damaligen Beratern Verrat vor. Statt den Arbeiteridealen und den erkämpften Rechten von 1980 treu zu bleiben, habe er sich vom kommunistischen Sicherheitsdienst kaufen lasse. Für Lech Walesa habe sich der Verrat ausgezahlt. Er sei reich geworden, sogar zum Präsidenten Polens aufgestiegen. Auch seine Berater seien für ihre angeblichen Verhandlungen am Runden Tisch fürstlich belohnt worden.
„Wir Solidarność-Mitglieder der ersten Stunde aber haben unsere Arbeit verloren. Drei Millionen Polen sind heute arbeitslos. Die Renten reichen kaum zum Leben“, klagt Anna Walentynowycz bitter. Wegen ihr, der „kleinsten Kranführerin der Welt“, brach der große Streik auf der Danziger Leninwerft vor 25 Jahren aus. Sie war entlassen worden, weil sie die Rechte der Arbeiter eingefordert hatte. Die einstige „Heldin der Arbeit“ marschierte 1980 mit Lech Walesa an der Streikspitze. Als Walesa 1983 den Friedensnobelpreis erhielt, war Walentynowicz schon fast in Vergessenheit geraten. Nach der Haft versuchte sie zu überleben. 1989, als die Verhandlungen am Runden Tisch begannen, ließen Walesa und seine Berater die „Radikalen“ aus den eigenen Reihen der Solidarność im Regen stehen.
In einem offenen Brief an das Europäische Parlament erinnern nun die verarmten Solidarność-Mitgründer von 1980 daran, dass die Jubiläumsfeiern im August eigentlich ihnen gelten müssten, nicht aber der Solidarność von 1989. Die eingeladenen Staats- und Regierungschefs würden an der Feier eines nationalen Verrats teilnehmen. Es gehe nicht um Versöhnung, sondern um Wahrheit. „Wir haben verloren“, heißt es in einem Aufruf der ersten Solidarność. „Aber auch wir feiern in Danzig, am 31.August 2005.“ GABRIELE LESSER