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Archiv-Artikel

Die Wahl als reine Geschmacksfrage

Eine „Wahlhilfe“ zwischen Schröder und Merkel in Buchform versprechen Manfred Bissinger und Hugo Müller-Vogg, empfehlen bei der Vorstellung allerdings die große Koalition. Nur Heiner Geißler findet, dass es zukunftsträchtigere Alternativen gibt

VON ULRIKE WINKELMANN

Wer noch nicht genug Zeitung gelesen hat, kann zwecks Orientierung im Wahlkampf jetzt zum Buch greifen. „Schröder oder Merkel. Die schnelle Wahlhilfe“ heißt das Bändchen, das die Autoren Manfred Bissinger und Hugo Müller-Vogg gestern in Berlin vorstellten. Im schräg sonnig ausgeleuchteten Hauptstadtsitz der Dresdner Bank am Brandenburger Tor sollten die beiden Journalisten, flankiert vom CDU-Altsozialisten Heiner Geißler, über das „oder“ im rot-weißen Buchtitel Auskunft geben.

Denn zwar ist Bissinger, Ex-Stern, Ex-Die Woche, ein Kanzler-Treuer – Müller-Vogg, Ex-FAZ, jetzt Springerverlags-Kolumnist, ein Merkelianer. Beide haben im Buch zu 53 Stichworten – von „Agenda 2010“ bis „Zeugnis“ – je eine Seite mit Pro-Schröder- und Pro-Merkel-Argumenten gefüllt. Doch kam nach beider Selbstdarstellung die Moderatorin zum Ergebnis, „dass die Kontrahenten ja recht nahe beieinander sind“ – ob denn dies ein Hinweis auf die anstehende große Koalition sei?

Was beide grundsätzlich bejahten. Müller-Vogg fragte bloß: „Wer macht’s?“, und antwortete so: mit Ottmar Schreiner (SPD-Linker) und Horst Seehofer (CSU-Neoliberalismusfeind) nein. Mit Peer Steinbrück (SPD, Ex-NRW-Ministerpräsident) und Friedrich Merz (CDU-Steuerexperte) ja. Bissinger erklärte, das Spannende an einer großen Koalition sei vor allem die Opposition: mit vier Führern! – Gregor Gysi, Oskar Lafontaine (Linkspartei), Guido Westerwelle (FDP) und Joschka Fischer (Grüne).

Auch das Buch selbst zeigt, dass der Unterschied zwischen Schröder und Merkel für die Autoren mehr eine Frage des Geschmacks denn eine der Politik ist: Agenda 2010 gut, aber spät. Sozialstaat wird missbraucht und muss schrumpfen. Joschka Fischer wild und gefährlich. Frauen sollen Karriere und Kinder vereinbaren können und vom Letztgenannten mehr machen. Nur dass Bissinger den Kanzler ehrlich findet und bewundert, Müller-Vogg nicht.

Für Widerspruch auf dem Podium sorgte gestern allein Geißler. Der Ex-Generalsekretär der CDU hatte für das Buch wie die Autoren nur das einzige Lob übrig, dass sie zu „sprichwortfähigen Sätzen“ fähig seien, welche er dann nicht einmal nannte.

Geißler verteidigte die Außenseiter Schreiner und Seehofer, indirekt auch Lafontaine und Gysi: „Was ist hier eigentlich los?“ Der Umgang mit „missliebigen Namen“ erinnere ihn an das „Scherbengericht“, das es vor 2.500 Jahren in Athen gab. Dabei konnte jeder den Namen einer Person, die ihm nicht passte, auf eine Scherbe schreiben. Der Meistgenannte wurde dann aus der Stadt geworfen. „Man muss die Politik ändern, wenn man die Linken nicht will“, sagte Geißler.

Wie Merkel und Schröder hätten auch die beiden Autoren nicht erkannt, dass „die Leute eine Antwort erwarten“: Auf die Frage etwa, warum US-Finanzinvestoren mit einem Federstrich gut laufende deutsche Unternehmen dichtmachen, die Arbeiter entlassen und damit ihre Börsenkurse antreiben könnten. Auf Weltwirtschaftsforen in Davos und in den USA werde längst über eine „internationale soziale Marktwirtschaft“ geredet, sagte Geißler. „Nur in Deutschland beherrscht ein Meinungskartell aus Politikern, Wirtschaftsvertretern und Journalisten die Auseinandersetzung“ – und blockiere die bloße Diskussion.

Niemand im Saal fühlte sich angesprochen.