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Archiv-Artikel

„In Hamburg wird früh aufgestanden“

MUSIK ODER MONETEN Andrea Rothaug war Punkerin, jetzt fördert sie als Chefin des Hamburger Vereins Rockcity junge Musiker. Wer die Mechanismen der Selbstvermarktung beherrsche, komme gut zurecht, sagt sie. Probleme hätten die verstrahlten Künstlertypen

Andrea Rothaug

■ 47, wurde in Hamburg geboren und zog mit 14 mit ihren Eltern ins schleswig-holsteinische Lütjenburg. Sie studierte Slavistik und Literatur, arbeitete als Pressereferentin beim Bundesverband Phono und ist seit 2002 Geschäftsführerin des Vereins Rockcity. Ihr erster Roman „Frierkind“ erschien 2005. Seit Ende Juni ist sie zudem Präsidentin des Bundesverbandes Popularmusik.

INTERVIEW KLAUS IRLER

taz: Frau Rothaug, können Sie sich an Ihren ersten Konzertbesuch erinnern?

Andrea Rothaug: Klar, Rod Stewart im Hamburger CCH mit den Eltern. Aber die Band Fisher Z im Hamburger Stadtpark war mein erstes eigenes Konzert: Da gab es richtig bunte Punks und jede Menge Popper. Danach war klar, dass ich zu den Punks gehören wollte und das nächste Konzert war dann The Stranglers in der Markthalle.

Als Sie 14 waren, zogen Ihre Eltern von Hamburg nach Lütjenburg. Eine gute Idee?

Damals habe ich mich gefragt, ob meine Eltern eigentlich noch alle Tassen im Schrank haben. Aber es entwickelt sich ganz prächtig in einem 6.000 Seelen-Dorf mit 40 Punks. Das war schon eine solide Quote.

Die große Freiheit als Dorfpunk?

Es war zumindest praktisch. Hier musstest du nur behaupten, du bist Mod oder Punk und dann bist du einer. In Hamburg musstest du aussehen wie ein Mod oder ein Punk, sonst warst du ein Ticket oder ein Mitläufer. Das ist auf dem Land egal, Hauptsache nett und nicht rechts. Andererseits ist es natürlich auch öde dort. Alles so eng. Aber enge Grenzen wollen gesprengt werden, fand ich damals.

Wie finden Sie Hamburg heutzutage im Hinblick auf seine Musikszene?

Ist ganz anders als früher, nicht so konspirativ, aber immer noch spannend. Wenn du drin steckst, siehst du auch die kleinen Bewegungen, die von außen manchmal nicht bemerkt werden. Es passiert viel. Hier wird früh aufgestanden und gearbeitet.

Warum das denn?

Sind wir nicht alle fleißige Hanseaten? In Hamburg wird mit Musik ernsthafter Geld verdient als anderswo. In Berlin hat jeder eine Band und ist sein eigener Künstler, das ist anders, aber auch schön. Diese Prise Boheme und Experiment würde ich mir in Hamburg wieder wünschen.

Behindert der Gedanke an Verwertbarkeit den künstlerischen Output?

Einerseits ja, wenn ich vom Markt her gucke. Andererseits nicht, wenn ich vom Produkt aus schaue. Der Hofnarr hat ausgedient. Wir wollen unsere Kunst machen und davon leben. Und ich bin traurig, wenn ich junge Musiker treffe, die gar nicht mehr wissen, dass sie mit Musik auch Geld verdienen dürfen. Ich empfinde es als positiv, mit ihnen über die Verwertbarkeit ihrer Musik nachzudenken.

Welche Auswirkungen hat das Nachdenken über Verwertbarkeit auf die künstlerische Qualität?

Von der Qualität her betrachtet, ist es wie immer: Kunst nur in verwertbaren Formaten zu denken, wäre dümmerlich und hinderlich.

Warum ist es heutzutage schwieriger, als Musiker zu überleben, als noch vor zehn Jahren?

Weil es viel mehr Konkurrenz gibt. Weil weit weniger Geld in den Aufbau von Repertoire geht. Weil wir zugunsten der Technisierung der Kunst in den Rücken fallen. Weil sich die Erlöse aus dem Download-Bereich nicht in dem Maß entwickelt haben, dass sie die Rückgänge aus den CD-Verkäufen kompensieren.

Was bleibt den Newcomern da übrig?

Sei gut, sei schnell, erzeuge ein Blätterrauschen in den Blogs, mach dich auf, sei freundlich und klug und vor allem musikalisch. Gib nicht auf, sieh dich um und mach deine Hausaufgaben und vor allem: musiziere überall. Digital, analog, ganz egal.

Ist es nicht auch ein Gewinn, als Band unabhängig von Plattenfirmen sein Geschäft aufbauen zu können?

Ja, auf jeden Fall, für die Tüchtis, die Selbstvermarktung, Multitasking und Netzwerken können und mögen. Doch die Monotasker und die verstrahlten Künstlertypen haben schlechte Karten. Die Branche ist zu 80 Prozent männlich – und Männer und Multitasking ist mitunter schwierig.

Welche Karrieren Hamburger Bands haben Sie zuletzt überrascht?

Boy zum Beispiel. Erfreut haben mich unsere Fuck Art let’s Dance. Viel hören werden wir noch von Pool, Ein Astronaut und Tellavision.

Geben Sie bei den Bandberatungen, die Rockcity anbietet, auch künstlerische Statements ab?

Nur, wenn es explizit gewünscht wird. Mein Auftrag ist es, Musik möglich zu machen und nicht, sie zu verhindern. Musik ist ein emotionales Produkt, da zählt nicht zuerst ihre Güte, auch Style, Look und Authentizität. Es gibt ja immer noch kein Rezept für den Erfolg. Bei 1.000 Robota, die zunächst durch diesen Palais Schaumburg-Look und das Retro-Beschimpfen des Publikums auffielen, fanden das plötzlich wieder alle toll.

RockCity hat zwar den Rock im Namen, berät aber Musiker aller Genres. Welche Genres sind besonders offen für Beratung oder besonders beratungsresistent?

Die ganz jungen Popmusiker sind am offensten für Beratungen. Das kennen die vom Popkurs oder der Popakademie. Sie wollen schnell viel erreichen. Der klassische Indie-Rockmusiker ist eine Auster, solange offen, bis er eine andere Meinung hat. Am eigensten sind die Soundarchitekten und Elektrofrickler, aber im Prinzip gilt: Wer kommt, der will auch was abholen.

Wie geht es Ihnen mit den HipHoppern? Bei denen gehört das Selbstbewusstsein doch zum künstlerischen Programm.

Nein, die HipHopper sind schnuckelig. Die sind es gewohnt in Hierarchien zu denken, denn sie kommen oft aus denselben. Und da wird gemacht, was Mutti sagt.

Hatten Sie schon mal ein Problem, die nachkommenden Generationen zu verstehen?

Ob ich einen 20-Jährigen, einen 30-Jährigen oder einen 40-Jährigen vor meiner Nase habe, ist ein großer Unterschied. Aber dadurch, dass ich täglich mit diesen tollen Menschen zu tun habe, stehe ich nicht auf einmal vor einem Verständnisproblem, sondern ich bin ja in die junge Generation reingewachsen.

Was ist anders geworden im Lauf der Jahre?

Es gibt neuerdings Musiker, die kommen zu uns, haben ihr erstes Demo gemacht und wollen nun richtig loslegen. Also frage ich sie, auf welche Konzerte sie gehen, was sie so hören, wo sie sich nachts rumtreiben. Dann schweigen sie, kucken dich an wie ein 3/86er und sagen: „Vorm Computer. Auf Konzerten waren wir noch nicht.“

Wie alt sind die Leute?

So jung, dass sie sich wundern, dass ich früher nach Kiel gefahren bin, um eine Langspielplatte zu kaufen, um sie anschließend mit meinen eingeladenen Gästen mehrmals durchzuhören. Aber so alt, dass sie schon mehrere Jahre Eltern sein könnten. Sie haben ihre Jugend vor dem Computer verbracht: Bier kaufen, kiffen, daddeln und Youtube checken.

Sie hingegen wurden als Dorfpunk sozialisiert.

Wie das klingt. Nein, ich wurde von sozialdemokratischen Eltern im Dreimädelhaus zur Selbständigkeit und zum Andersdenken erzogen. Zu meiner Konfirmation wünschte ich mir 100 Punkplatten und bekam sie. Danach war das Leben als Ex-Hamburgerin und Dorfpunk ein Vergnügen: Meine Plattensammlung war eine Schatzkiste.

Wann wussten Sie, dass Sie im Rockbusiness arbeiten wollen?

Ich wollte in keinem Rockbusiness arbeiten. Ich wollte Bücher lesen, die Nacht zum Tage machen und ein guter Mensch werden. Ich lese immer noch mehr Texte, als ich Musik höre, denn ich bin eine brachiale Freundin des Wortes. Ich lese und schreibe eigentlich immer. Musik höre ich, aber ich gestalte sie nicht.

Worum geht es im Bundesverband für Popularmusik, der kürzlich gegründet wurde und dessen Präsidentin Sie sind?

Es geht darum, die Förderung von Popularkultur als Querschnittsaufgabe zu begreifen und zu etablieren. Popkulturförderung muss bei den Kindern beginnen, sich in Schule und Unis fortsetzen, in der Wissenschaft, der Kunst, der Kultur und der Wirtschaft ansetzen, dann gibt es auch ein Überleben der Spezies Homo Popensis.