zwischen den rillen: Vollmond und Brexit
Das verflixte zweite Album: Wenn das Debüt erfolgreich war, sind die Erwartungen daran denkbar groß. 2017 brachte der Erstling „Love in the 4th Dimension“ der britischen Band the Big Moon eine Nominierung für den renommierten „Mercury Prize“ ein. Die Musik schrammelte herrlich intuitiv um die Texte von Sängerin Juliette Jackson, die darin jugendlich naiv das Liebesleben von Twentysomethings abhandelte. Vergleiche mit den Libertines wurden laut – obwohl The Big Moon vier Musikerinnen sind.
Was macht die Band mit dem Erfolg? Genau da ansetzen, wo sie aufgehört hat? Allen Ansprüchen gerecht werden? Schwierig: Hat sich doch die Welt um Jackson und ihre Mitstreiterinnen in den drei Jahren seit dem Debüt entscheidend verändert. Egozentrismus und Herzschmerz werden überlagert von Fridays for Future, Brexitkrise und Boris Johnson – die Lage der Welt und der Jugend im eigenen Land ist komplizierter und herausfordernder.
Jacksons erste Reaktion: Den Schlafanzug anziehen und sich mit Gitarre und Gedanken zu Hause einschließen. Als sie mit Songideen wieder hervorkommen, nimmt die Band sich Zeit und Möglichkeiten und greift auf Erfahrungen zurück, die zuvor noch nicht parat waren. Entstanden ist so ein erquickliches Album, dass aufgeräumter wirkt als sein Vorgänger und das Quartett gleichzeitig ratlos und aufgewühlt zeigt – ohne dabei deprimiert zu klingen.
Sorgfältiger herausgearbeitet sind die Details auf „Walking Like We Do“: Der Song „Barcelona“ etwa steigt mit luftigen Flöten ein, fröhliche Synthies sprudeln durch so manche Hookline wie etwa bei „Take a Piece“ und überhaupt werden Tasten und Bläser sehr viel stärker zum Einsatz gebracht. The Big Moon haben außerdem die etwas klischeemäßigen Indie-Gitarren des Debüts gegen neue Entspanntheit eingetauscht. Früher bellten sie hastig ins Mikro, nun lassen sie eher mehrstimmigen Harmonien den Vorzug. Man könnte sogar sagen, dass die Band einen Genrewechsel vollzogen hat und nun statt Indie-Rock anschmiegsamen Pop macht, der gesellschaftliche Relevanz hat.
Auf „Dog Eat Dog“ etwa verhandelt Jackson die Ellbogenmentalität britischer PolitikerInnen. Auf „Holy Roller“ lassen sich The Bog Moon zu einer düsteren Gegenwartsbetrachtung hinreißen: „Our paradise is gold and lit / Like porno sites and gonzo kids“, um dann auf „Why“ zu beteuern, dass es neben der Düsternis doch auch Grund zur Freude geben kann.
Der neue Big-Moon-Sound dürfte manch alte Fans verstimmen – ihr Sound klingt auf „Walking Like We Do“ nun mehr nach Lily Allen als nach The Libertines. Gleichzeitig werden sich für die einprägsamen Popsongs mit Tiefgang auch viele neue Hörer*innen finden. Die erste Single-Auskopplung „Take a Piece“ jedenfalls erfreut sich bereits reger Beliebtheit, was sicherlich nicht nur an dem grandiosen Video im Boygroup-Look der Neunziger liegt. Am Ende ist es egal, ob sich auf „Walking Like We Do“ jetzt alle einigen können.
Der Albumtitel „Walking Like We Do“ zielt übrigens auf das alltägliche Chaos ab, dass alle umgibt. Und darauf, dass wenigstens Jackson und The Big Moon dabei wohlüberlegt, zielstrebig und unaufgeregt weiter ihren eigenen Pfad verfolgen. Silvia Silko
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