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Das Untragische als Lebensform

Man kann am Seitenrand stehen und zuschauen. Oder man ergreift die Initiative, um die Dinge zum Positiven zu wenden. Der tazler erster Stunde, Michael Sontheimer entschied sich stets für die Tat. Eine Würdigung zu seinem 65. Geburtstag

Von Elke Schmitter

Gegen die Verrottung der Welt oder für deren Verbesserung sind immer Helden erforderlich. Aber auch Leute, die sie als solche erkennen. Was heute selbstverständlich aussieht, das musste durchgesetzt werden – bei Rosa Parks, bei Erich Mühsam wie Sophie Scholl; in jüngster Zeit: bei Julian Assange, bei Edward Snowden und Chelsea Manning. Journalisten streiten und schreiben, manchmal über Jahrzehnte, um zu etablieren, was irgendwann ein Narrativ sein wird. Kenntnis hilft. Aber auch eine Verbindung aus historischem Bewusstsein, der Bereitschaft zur Ergriffenheit und zum Engagement – und ein Gefühl für den richtigen Zeitpunkt.

Michael Sontheimer, der am Montag 65 Jahre alt wird, gehört zu solche Journalisten. Er hat Politologie und Geschichte studiert – am Otto-Suhr-Institut, der Lehrstätte etlicher späterer tazler –, das hat sicher geholfen. Eine gewisse biografische Gelassenheit, als Sohn einer gutbürgerlichen Bildungsfamilie, kam dazu. Vor allem aber scheint mir eine Gewissheit wichtig, die der Slogan „Geschichte wird gemacht“ (apokryph; dem Berliner Underground der 80er Jahre zugeordnet) pointiert: Nichts, was Gesellschaft betrifft, ist unveränderbar. Tradition ist zu Teilen etablierter Zufall, hat oft aber gute oder auch üble Gründe. Wer profitiert von den herrschenden Zuständen und wer erleidet sie? Wie lässt sich das ermitteln? Und wie kann man die Privilegierten dazu bringen, den anderen und nicht nur sich selbst zuzuhören? (Erst recht, wenn man selbst zu den Privilegierten gehört?)

Was das Verhältnis von Natur- und Menschheitsgeschichte betrifft, war Michael Sontheimer übrigens als einer der Ersten auf dem Quivive. Lange bevor der sperrige Begriff „Anthropozän“ auftauchte, hat er mit der taz die Erkenntnis etabliert, dass wir in einer Epoche leben, in der, erstmals, die Menschheit die Naturgeschichte verändert. Was folgt daraus politisch? Jedenfalls keine tragische Melancholie. Statt dessen, zum Beispiel, das Ressort „Wirtschaft und Umwelt“, das er erfand. Um schon in der Recherche wie der Berichterstattung klarzustellen: Jedes ökonomische ist auch ökologisches Handeln.

Soweit der Ernst, aber der Spaß gehört auch dazu. Als wir uns noch nicht kannten, war er Gitarrist der „Brigade Büllerbü“ für den Berliner Besetzerrat in Schöneberg. Ein paar Jahre später entstand das Projekt „tageszeitung“. Christian Ströbele hatte die Ladenwohnung angemietet, in der eine überschaubare, ideologisch eher unsortierte Gruppe Berliner Sponti-Linker ihre Lehre aus den 70er Jahren zog: Es war Zeit für die eigene Zeitung. Für all das, was widersprüchlich, underground, politisch wie gefühlt das Neue und Wichtigste war. Ein „Hetzblatt mit Körper“ schwebte Arno Widmann vor. Seinem Temperament gemäß eher lakonisch gab Micha Sontheimer Jahrzente später zu Protokoll: „Wir wussten, dass wir die Revolution in dieser Zeitung predigen wollten, und sie war entsprechend schwer lesbar.“

Er war taz-Mitbegründer, ging Mitte der 80er Jahre zur Zeit kam in den Neunzigern als Chefredakteur zurück und war dann bis sozusagen gestern beim Spiegel; zehn Bücher von ihm gibt es auch – zum Berliner Bausumpf beispielsweise, zur RAF und zum Deutschen Herbst, zu Vietnam & Kambodscha. Er erfand mit anderen die taz-Panter-Stiftung, setzt sich für die Förderung des kritischen Journalismus ein („Er hat es nötig.“) und hält auf seine Weise Aufklärung und Engagement zusammen. Unter anderem, indem er für Assange, Snowden und Manning streitet.

Herzlichen Glückwunsch, Micha, keep uncalm and carry on!

Elke Schmitter, Redaktionsmitglied des „Spiegel“, war von 1989–1994 bei der taz. Sie ist Kuratoriumsmitglied der taz Panter Stiftung und taz-Genossin Nummer 007.

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