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In Shorts nach Sibirien

Je mehr man von einem Land verstehe, desto komplizierter werde es, gute Bilder zu machen, sagt der Fotograf Beat Schweizer. In der Hamburger Freelens-Galerie ist in seiner Ausstellung „Mikhailovna Called“ zu sehen, dass es ihm in Sibirien trotzdem gelungen ist

Von Frank Keil

„Es ist für uns Schweizer unvorstellbar, dass es Orte gibt, wo vielleicht einmal in der Woche ein Flugzeug landet und wo es 800 Kilometer bis zum nächsten Ort sind“, sagt Beat Schweizer. Es zog ihn langsam Richtung Osten, dann Richtung Norden. Nach Fotoreportagen im Kosovo noch während seiner Ausbildung landete er in der Ukraine; ein Projekt mit dem Schweizer Schriftsteller Urs Mannhart führte ihn schließlich nach Teriberka in Sibirien. Denn der Konzern Gasprom wollte aus dem winzigen Ort die Hauptstadt des Gases machen mit Tausenden von Jobs, viel Geld würde fließen. Es kam alles anders und Gasprom kam nicht. Und wir schauen auf Stillleben aus Teegläsern zu Graubrot, auf Halden aus Kohle; schauen, wie ein Auto im Schneesturm verschwindet, und wer weiß, wo es je ankommen wird?

Ein auf andere Weise verschlossener Ort, den nicht mal russische Staatsbürger besuchen dürfen, es sei denn, sie haben eine behördliche Erlaubnis, ist der Ort Dikson, den Schweizer anschließend besuchte, nach seiner ersten Sibirien-Reise auf den Geschmack gekommen und davon getrieben die Größe Russlands zu verstehen. Dikson liegt weit oberhalb des Polarkreises am Nordmeer, gilt als Grenzstadt, auch wenn kein anderer Staat in Sichtweite ist. Dafür gibt es Dikson gewissermaßen zweimal: einmal der Ort selbst auf dem Festland und dann eine Siedlung auf einer kleinen Insel, etwas weiter draußen. Man gab diese irgendwann auf, ging einfach weg, ließ alles stehen und liegen, wie es war.

„Es ist hier alles so abgeschieden, da ist es viel zu anstrengend, alles abzutransportieren“, sagt Schweizer. Und er zeigt ein Foto eines ehemaligen Klassenzimmers: Stühle, Tische, alles noch da. Und alles schneebedeckt und vereist. „Es gibt auch eine Bibliothek, eine Turnhalle, es gibt Wohnungen, noch komplett eingerichtet und eben alles tiefgefroren“, erzählt er. Das hätte er jetzt Haus für Haus durchfotografieren können, ein eingefrorener Ort, aber das interessiere ihn nicht.

„Was mich interessiert, das sind die Menschen“, sagt er. Also er hat sich unter sie begeben, ein paar Hundert sind es, zeigt uns die Frau aus dem örtlichen Kramladen, der alles hat; zeigt uns Kinder in Armee-Uniformen mit viel zu großen Mützen, zeigt uns Shisha rauchende, junge Männer in Wohnungen, in T-Shirt und kurzen Hosen, während es draußen zweistellige Minusgrade hat.

„Wenn du im Winter nach Sibirien reist, musst du unbedingt Shorts mitnehmen“, sagt Schweizer. Und das ist es, was ihn immer wieder fasziniert wie interessiert: dass es dort, wo es abgeschiedener und isolierter und rauer kaum sein kann, Normalität gibt. Nur das diese irgendwie anders ist.

Nächste Station: Norilsk, diesmal 175.000 Einwohner. Eine Industriestadt, gebaut auf dem Permafrost, entstanden aus einem Gulag. Auch in ihr darf sich nur bewegen, wer eine Genehmigung dafür hat, und es hat lange gebraucht, bis Schweizer sie hatte. Hier wird Nickel abgebaut, aus der Erde gekratzt, dann verarbeitet; Norilsk gilt als die schmutzigste Stadt der Welt.

Hier hat Schweizer zwei Monate gelebt und fotografiert: Jugendliche beim Baden im Abwasser des hiesigen Energiewerks, Kinder beim Schlittenfahren zwischen Plattenbauten. Hat auch Mischa näher kennengelernt, bei dem er auch gewohnt hat. Der hat seinen Militärdienst absolviert, liegt nun auf dem Bett, schaut Fernsehen und spielt Videospiele, schlägt sich die Zeit tot, bis seine Ausbildung beginnt, die er dort machen wird, wo hier alle arbeiten, in der Nickelfabrik. Und eines steht für Mischa noch unverrückbar fest: Weg will er hier nie.

„Wenn ich diese Fotos in der Schweiz zeige, heißt es manchmal, sie wären vielleicht etwas zu schön, zu romantisch“, sagt Schweizer. Zeige er sie den Leuten in Russland, höre er, dass die Fotos doch ein wenig zu trist seien, dass es bei ihnen doch ganz schön wäre, was er ruhig zeigen solle. „Ich versuche die Balance zwischen diesen beiden Erwartungen zu halten“, sagt er. Und will dranbleiben, auch weil er sich fotografisch herausgefordert fühlt: „Je mehr man von einer Sache oder einem Land versteht, desto komplizierter wird es – und es wird auch komplizierter, gute Bilder zu machen.“

Schweizer geht zurück zu der Wand mit seinen Dikson-Arbeiten, schaut auf einen Wintermoment: Schnee stiebt auf, in einer einigermaßen geschützten Straßenecke hat ein Mann einen klapprigen Grill aufgebaut, ein anderer schaut mit auf dem ­Rücken verschränkten Armen zu, als hätte er in dieser eisigen Welt alle Zeit der Welt. Ein Bild, das von der Komposition an ein Gemälde erinnert. „In diese Richtung schaue ich schon“, sagt Schweizer. Und setzt hinzu: „Von solchen Bildern machst du auf einer Reise vielleicht eines.“

Ausstellung „Beat Schweizer: Mikhailovna Called“: bis 19. 3., Hamburg, Freelens-Galerie

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