Tödlicher Überfall an der Bushaltestelle

Der Mord an einem 18-jährigen Schwarzen erschüttert Liverpool. Zwei Tatverdächtige stellen sich der Polizei nach vorherigem öffentlichem Aufruf ihrer Angehörigen. Rund 800 Menschen nehmen in Liverpool an einer Mahnwache gegen Rassismus teil

VON RALF SOTSCHECK

Einen solch brutalen Mord hat es in Liverpool lange nicht gegeben. Der 18-jährige schwarze Abiturient Anthony Walker wurde am Wochenende mit einer Axt erschlagen, als er – gemeinsam mit seinem Cousin – seine weiße Freundin zur Bushaltestelle im Liverpooler Stadtteil Huyton begleitete. Der Täter hatte mit solcher Wucht zugeschlagen, dass die Axt in Walkers Schädel stecken blieb.

Vorgestern Abend wurden zwei Männer am Liverpooler John-Lennon-Flughafen verhaftet. Der 17-jährige Michael Barton und der 20-jährige Paul Taylor, die von der Polizei als dringend tatverdächtig bezeichnet worden waren, waren aus Amsterdam zurückgekehrt, um sich freiwillig zu stellen. Ihre Familienangehörigen, darunter Bartons Bruder Joey, ein Profifußballer von Manchester City, hatten sie in öffentlichen Aufrufen darum gebeten, sich zu stellen.

Walker, seine Freundin und sein Cousin warteten an der Bushaltestelle, als sie von einem Mann, der vor einer Kneipe stand, mit einer rassistischen Tirade überhäuft wurden. Die drei gingen weiter zur nächsten Bushaltestelle, weil sie keinen Ärger wollten, doch unterwegs wurden sie von drei Männern überfallen.

Der Fall erinnert an einen anderen Mord vor zwölf Jahren. Damals wurde Stephen Lawrence, ein schwarzer Teenager, an einer Bushaltestelle im Südosten Londons von Rassisten erstochen. Die Polizei verschleppte das Verfahren, 1996 wurde es eingestellt. Eine Untersuchung ergab, dass Rassismus in der Polizei weit verbreitet ist. Bis heute ist niemand für den Mord zur Rechenschaft gezogen worden.

Diesmal ist das anders. Die Polizei von Merseyside bezeichnete die Tat sofort als rassistisch motiviertes Verbrechen und durchsuchte noch in derselben Nacht mehrere Häuser. Aus der Bevölkerung gingen – anders als im Lawrence-Fall – hunderte von Hinweisen ein. Zeugen sagten, dass die zwei Männer mit dem Mann vor der Kneipe sprachen, der kurz zuvor Walker beschimpft hatte. Die drei Männer stiegen in ein Auto ein und schnitten Walker den Weg ab. Sein Cousin und seine Freundin liefen weg, um Hilfe zu holen. Als sie mit einer Gruppe von hilfsbereiten Menschen zurückkehrten, war es bereits zu spät.

Ali Dizaei vom Verband schwarzer Polizisten sagte: „Das ist der eindeutige Beweis, dass der Krebs des Rassismus auch zehn Jahre nach der Lawrence-Untersuchung immer noch hier ist. Schwarze, unschuldige Kinder sind dem ausgesetzt. Das ist ein sehr trauriger Tag.“ Katharina Lobeck, eine in London lebende Deutsche, deren Partner aus Senegal stammt, sagte dem Guardian: „In einem modernen Land, das stolz ist, eine der multikulturellen Nationen der Welt zu sein, dürfte so was nicht passieren.“ Sie sagte, dass sie nach dem Mord an Walker daran gedacht habe, aus London wegzuziehen, das aber verworfen habe, weil London trotz allem der einzige Ort der Welt sei, wo ihre Beziehung zu einem Afrikaner nicht ständig thematisiert werde.

Mehr als 800 Menschen nahmen am Dienstagabend an einer Mahnwache in Liverpool teil. Walkers Mutter Gee sagte, sie sei von der Anteilnahme überwältigt. Doreen Lawrence, die Mutter von Stephen, war nach Liverpool gekommen und sagte: „Ich hoffe, dass diesmal die Gerechtigkeit siegen wird. Stephens Mörder laufen immer noch frei herum.“