: Die Züge könnten Blitze sein
Momente, die das Leben in zwei Hälften teilten: Uli M Schueppels Leinwandessay „Der Atem“ ist heute in der Volksbühne konzertant mit Musik der Komponistin Christina Vantzou zu erleben
Von Robert Mießner
Dass die Berliner Nacht dazu angetan war und ist, in ihr verloren zu gehen und sich dabei zu verlustieren, ist auch so ein immer mal wieder und vor Kurzem dann noch einmal gezündeter Dauerbrenner. Kein schlechter Ort dafür ist die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz und ihre Umgebung. Bevor jedoch die nächste 20er-Jahre-Sause steigt, läuft im Großen Haus des Theaters eine Erkundung Berlins unter Kunstlicht, die keinen Tanz auf dem Vulkan bemühen muss, obwohl in ihr geglüht und gebrannt wird.
In Uli M Schueppels Schwarzweißfilm „Der Atem“, den die Volksbühne heute Abend in einer konzertanten Aufführung zeigt, ist das Berlin von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang sehr selten ein Ort des Sichverströmens und weitaus öfter einer der Flucht. Manchen der Flüchtenden ist es vergönnt, einen Punkt zu finden, viele jedoch scheinen gezwungen, in Bewegung zu bleiben.
„Der Atem“ lief 2019 auf der Berlinale und ist ein Leinwandessay. Schueppel eröffnet mit Wolkenformationen und dem Geräusch des Luftholens, auf das Westberliner Sozialbauten ins Bild kommen. Es wird dunkel um sie, bis nur noch die erleuchteten Fenster die Konturen ihrer Bauten erahnen lassen. Schienenstränge kommen ins Bild, S-Bahnen unterqueren die Behmstraßenbrücke zwischen Prenzlauer Berg und Wedding, über den metallischen Groove des Zuges legt sich eine Streicherspur und über das Bild des Gleisbetts ein Papier, daneben eine Hand mit einem rhythmisch klopfenden Zeigefinger.
Was da wie ein Dirigentenpult wirkt, ist der Fahrplan eines S-Bahn-Chauffeurs, aus dessen Kabine heraus gefilmt wird. Die Musik hat von Anfang an Unruhe verheißen, sie hält sich an ihr Versprechen; ein Berlinpanorama öffnet sich – Fernsehturm, Park-Inn-Hotel, Kaufhaus: der Alexanderplatz. Als der Zug in den Bahnhof einfährt, schimmert die Halle, als wäre sie eine Stahlkirche. Der Mann im Cockpit beginnt zu reden, schon in der Weiterfahrt erzählt er davon, wie er als Kind von der Trennung seiner Eltern erfuhr: durch den Vater, wie beiläufig, auf einer Fahrradtour.
„Der Atem“ handelt von den Momenten, da seine Protagonisten:Innen ihn buchstäblich anhalten mussten, Momenten, die das Leben in zwei Hälften, in ein Davor und ein Danach, teilten. „Wie ein Blitz“, sagt der S-Bahn-Fahrer. Die Züge, die im Lauf des Films mehrmals die Leinwand kreuzen, könnten in ihrer Beleuchtung und Geschwindigkeit selbst Blitze sein, ihr Rattern wäre der Donner.
Es wird viel gefahren in diesem Film, sei es als Fahrer oder als Passagier. Es wird gelaufen, eine Frau berichtet auf dem Hometrainer eines Fitnessstudios über der Dämmerstadt, wie es ihr gelang, die Drogenkarriere zu knicken.
Es wird geraucht in diesem Film. Ein Standbetreiber vom Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz erinnert sich an den Terroranschlag von 2016 und wie ein Kollege zurückkam, als allmählich erst allen bewusst wurde, was geschehen war: „Hamed hat mehr gesehen. Hamed hat […].“ Die Pause ist furchtbar; der da berichtet, muss sich permanent nach allen Seiten umschauen.
„Der Atem“ ist ein dunkler Film. Seine Episoden beleuchten, was die passionierte wie professionelle Nachtbevölkerung weiß; dass und warum nämlich die Schattenstunden Zuflucht spenden, sei es vor der Erinnerung an eine gewaltsam beendete Partnerschaft, an eine von Stasi-Verfolgung überschattete Kindheit oder eine Jugend, hinter der das Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ abgeschlossen hatte.
Die davon sprechen, tun das unumwunden; das bewahrt den Film vor dem Absturz in die völlige Düsternis. Dann sind da die auch erzählten glücklichen Episoden; groß zum Beispiel der Moment, in der ein Nachtarbeiter beim Funkenflug des Gleiseschleifens erzählt, wie seine Tochter auf die Welt kam.
Ein Film hat auch einen Tonfall, der von „Der Atem“ ist vorsichtig. Heute Abend begleiten ihn die US-amerikanische Komponistin Christina Vantzou und das Neoklassik-Ensemble Echo Collective, bekannt durch seine Zusammenarbeit mit Jóhann Jóhannsson und Hildur Gudnadóttir. Die preisgekrönte Cellistin Gudnadóttir hat vor einigen Jahren ein Konzert im Roten Salon der Volksbühne gegeben. Dessen zurückgenommener, minimalistischer Klanggestus wäre der, den man sich für das angekündigte Filmkonzert wünscht.
Filmkonzert „Der Atem“: Volksbühne, Rosa-Luxemburg-Platz, 27. 1., 20 Uhr
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