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Die Laster seiner Landsleute

Rimini feiert seinen wohl berühmtesten Sohn, Federico Fellini, mit Open-Air-Kunstwerken und der Ausstellung „Fellini 100. Genio immortale“. Und bald wird für ihn dauerhaft ein Schloss freigeräumt

Von Michael Braun

Marcello, come here!“ Die bezaubernde blonde Anita Ekberg zwinkert in der berühmten Szene aus „Dolce Vita“ sinnlich auf einer riesigen Leinwand, doch diesmal lädt sie, im Trevi-Brunnen stehend, nicht nur Marcello Mastroianni ein, sondern uns alle, die Besucher der großen multimedialen Ausstellung, mit der Rimini die hundert Jahre seines am 20. Januar 1920 geborenen großen Sohnes Federico Fellini feiert. Der Weg hinein, ins Castel Sismondo, führt durch die vielen vertikalen Lamellen, die die Leinwand bilden.

Ein „Erlebnis“ versprechen die Architekten des berühmten Büros Studio Azzurro, die sie organisiert haben, mit der Beratung von Anna Villari und Marco Bertozzi – und sie übertreiben nicht. In einem Raum öffnet sich auf einer großen Projektionsfläche meterhoch „Das Buch der Träume“, und die Besucher müssen nur mit der Hand über den Megabildschirm wischen, um digital durch das Werk zu blättern, das Fellini, vom Psychoanalytiker Carl Gustav Jung inspiriert, geschrieben und gezeichnet hat, mit den Skizzen und Notizen, in denen er regelmäßig seine nächtlichen Träume aufzeichnete, um dann daraus Inspirationen für seine Filme zu ziehen. In einem anderen Saal werden die luxuriösen Papst- und Kardinalskostüme präsentiert, bereit für die fromme Modeschau der Prälaten aus Fellinis „Roma“, dessen skurrile Szenen an die Wand projiziert werden. Der autobiografische Film „Amarcord“ wiederum, in dem Fellini seine Kindheit und Jugend in Rimini in den Jahren des Faschismus verarbeitet, wird mit der ganzen Atmosphäre der Stadt in einem „Saal des Nebels“ präsentiert.

„Fellini 100. Genio immortale“ – „unsterbliches Genie“ – ist der Titel der Ausstellung, die bis zum 13. April in Rimini zu sehen ist, dann die Reise unter anderem nach Los Angeles, Moskau und Berlin antreten, ab Dezember 2020 dann aber zur festen Schau im neuen Fellini-Museum in Rimini werden wird. Und nicht irgendein Museum, sondern das in der Renaissancezeit erbaute Stadtkastell wurde für ihn freigeräumt.

Denn Fellini soll in Zukunft eine der Hauptattraktionen sein, die Rimini ihren ­Touristen bietet. So hat sich die ganze Stadt zu Ehren ihres Regisseurs verwandelt: Das Cinema Fulgor, in dem der kleine Federico seine erste Filme sah, wurde im Hollywood-Stil der 30er Jahre von dem Bühnenbildner, Fellini-Freund und dreimaligen Oscar-Gewinner Dante Ferretti neu eingerichtet. Damit nicht genug: Die Piazza und die Straße zwischen dem Kastell und dem Cinema Fulgor haben sich in eine bunte Fußgängerzone verwandelt, den „CircAmarcord“ mit von Fellini inspirierten Open-Air-Kunstwerken.

Die Stadt Rimini hält den Aufwand für gerechtfertigt. Schließlich wird da ein Regisseur gewürdigt, der tiefe Spuren hinterlassen hat, angefangen bei der Sprache. Ihm verdanken die Italiener – und nicht nur sie – Begriffe wie „Dolce Vita“ oder „Paparazzi“, übrigens der echte Name eines seinerzeit in Rom aktiven Promi-Fotografen, der mit seiner Kamera den US-Stars nachstellte, wenn sie in der Cinecittà Filme drehten. Und nicht zuletzt wird im Italienischen auch heute noch das Adjektiv „felliniano“ – „fellinianisch“ – immer wieder benutzt, um groteske, surreale, Träumen entsprungene Atmosphären zu beschreiben.

Denn er konnte wie kein anderer ein Bild Italiens liefern, mit kompromisslosem und doch zugleich liebevoll-ironischem Blick auf die Laster seiner Landsleute. Von ungefähr kommt das nicht – ursprünglich waren Karikaturen, auch sie ausgestellt in der Schau in Rimini, sein Metier. Schon als 17-Jähriger öffnete er in Rimini einen Laden, verdiente gutes Geld damit, dass er die Touristen mit seinem Bleistift amüsierte. Direkt nach dem Krieg dann, mittlerweile nach Rom umgezogen, öffnete er mehrere Funny Face Shops, wo er die Gesichter der US-Soldaten lustig malte.

Im Gegensatz zu den Neorealisti wurde Fellini nie als politischer Regisseur bezeichnet. Die Schau in Rimini rückt dieses Bild gerade

Selbst in den Jahren des Krieges und des Faschismus arbeitete er für eine satirische Zeitschrift Marc’Aurelio, die ihm als Sprungbrett dienen sollte. Denn die Theater-Manager suchten unter den Journalisten neue Autoren für ihre Shows. Roberto Rossellini, Regisseur und Begründer des Neorealismus, engagierte den erst 25-jährigen Fellini als Drehbuch-Koautor für „Rom – offene Stadt“.

Doch nach wenigen Jahren macht Fellini sich als Regisseur selbstständig, schon mit seinem dritten Film, „La Strada“ (1957), gelang ihm der weltweite Durchbruch, er gewann einen Oscar fürs Drehbuch. Der Film erzählt von einem Mädchen, das von ihrer Mutter für zehntausend Lire verkauft wurde, als wäre es ein Objekt, an einen rauen Wanderkünstler namens Zampanò. Nur ein Jahr später kam der zweite Oscar, Kategorie bester ausländischer Film, für „Le notti di Cabiria“. Die Hauptdarstellerin war erneut seine zierliche Frau Giulietta Masina, die trotz ihres schwülstigen Namen Cabiria eine kleine, hässliche, ausgebeutete Hure darstellte und doch die einzige romantische und reine Person in einer Welt von Jaguaren repräsentierte. Im konservativen Italien sorgte der Film für Skandal. Doch Fellini produzierte ein Meisterwerk nach dem anderen: „La dolce Vita“ über die Kehrseite des Wirtschaftswunders, das damals fast kritiklos zelebriert wurde, dann „8 1/2“, „Roma“, „Amarcord“. Filme, für die er mit Preisen überhäuft wurde.

Doch im Gegensatz zu den Neorealisti wurde er nie als politischer Regisseur bezeichnet, zu poetisch und romantisch war er. Die multimediale Ausstellung in Rimini rückt auch dieses Bild gerade, in einem kleinen Kino im Kastell. Auf gleich drei Leinwänden nebeneinander haben die Ausstellungsmacher Szenen aus Fellini-Filmen – von den „Müßiggängern“ zu „La Strada“, von den „Schwindlern“ zur „Stadt der Frauen“ – gegen Szenen aus in den gleichen Epochen gedrehten Wochenschauen geschnitten, und sie machen so deutlich, dass jener Fellini, der als der Antipode schlechthin des neorealistischen italienischen Kinos der Nachkriegsjahre gilt, doch auch mit seinen gerne immer wieder grotesken Werken scharfsichtige Kommentare zur Gegenwart lieferte.

Bis 13. April, Castel Sismondo, Rimini

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