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Archiv-Artikel

Ärzte wollen mehr verdienen als Lehrer

Heute treffen sich in Berlin Mediziner zum zentralen Protesttag. Die Klinikärzte fordern Tarifverträge, die ihnen mehr Geld zugestehen als anderen Angestellten im öffentlichen Dienst. Experten kritisieren Lohnkluft zwischen Chef- und Assistenzarzt

AUS BERLIN ANNA LEHMANN

Um fünf vor zwölf demonstrieren heute tausende Ärzte in Berlin ihren kollektiven Unmut und rufen zur Massenflucht auf. „Uns reicht’s – ab ins Ausland“, lautet das Motto des zentralen Protesttags, zu dem die Interessenvertretung der angestellten und verbeamteten Ärzte, der Marburger Bund, aufgerufen hat. Damit erreichen die seit Montag andauernden Aktionen der Mediziner an deutschen Unikliniken ihren Höhepunkt.

Die Ärzte an den hessischen und baden-württembergischen Unikliniken gingen Anfang der Woche in den Ausstand, als die Länder festlegten, die Arbeitszeiten bei gleich bleibendem Lohn zu erhöhen sowie Weihnachts- und Urlaubsgeld ganz oder teilweise einzubehalten. Junge Mediziner in der Facharztausbildung müssen auf 10 Prozent ihrer monatlichen 1.700 Euro netto verzichten. „Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte“, berichtet Inga von Olshausen, die als Assistenzärztin an der Freiburger Uniklinik arbeitet. Viele Kollegen arbeiteten wöchentlich 60 bis 80 Stunden, manche 30 Stunden am Stück.

Zu den langen Arbeitszeiten tragen aber auch die Ärzte selbst bei. Die vielen Stunden ergeben sich einerseits durch Bereitschaftsdienste, mit denen Ärzte ihr Gehalt aufbessern und die sie deshalb nicht missen wollen. Andererseits sind unbezahlte Überstunden in vielen Krankenhäusern die Regel. „Schweigen und Schuften ist das Prinzip“, sagt Athanasios Drougias vom Marburger Bund.

„An den Unikliniken haben wir eine dreifache Belastung, denn Forschung und Lehre kommen noch hinzu. Das macht man dann in der Freizeit“, klagt die Assistenzärztin Olshausen. Aktenarbeit raube zusätzlich Zeit. Die Ärzte an den Unikliniken fordern deshalb eine Extravergütung, die über den üblichen Tariflohn hinausgeht, den etwa ein junger Lehrer oder ein anderer Angestellter des öffentlichen Dienstes erhält. Die Tarifgemeinschaft der Länder als Arbeitgeber signalisiert gestern Verständnis, lehnt aber einen speziellen Tarifvertrag für Ärzte ab. Ihr Vorsitzender, der niedersächsische Finanzminister Hartmut Möllring (CDU), fordert die Gewerkschaften auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Ver.di und der Marburger Bund hatten die Tarifgespräche am 20. Juli für beendet erklärt. Der Marburger Bund hat ein eigenes Tarifmodell entwickelt, das auch die Vorgabe des Europäischen Gerichtshofes berücksichtigt, nach der Ärzte maximal 48 Stunden pro Woche arbeiten dürfen. „Wir brauchen eine deutliche Erhöhung des Grundverdienstes, um von den illegal langen Arbeitszeiten wegzukommen“, sagt der Sprecher des Marburger Bundes, Athanasios Drougias. Er fordert deshalb ein Care-Paket der Politik von jährlich 700 bis 800 Millionen Euro, damit mehr Ärzte zu besseren Konditionen eingestellt werden könnten.

Das Gesundheitsministerium lehnt jedoch zusätzliche Geldspritzen ab. Eine gemeinsam mit den Krankenkassen und Gewerkschaften erstellte Studie habe gezeigt, dass es durchaus möglich sei, mit dem vorhanden Geld zu verträglicheren Arbeitszeiten zu kommen, meint eine Sprecherin.

Auch Karl Lauterbach, der Gesundheitsministerin Ulla Schmidt berät, begegnet Geldforderungen vorsichtig. „Mit besserem Krankenhausmanagement und gerechterer Bezahlung kann man Geld aufwandsneutral umschichten.“

Ein Chefarzt verdiene etwa so viel wie 30 Assistenzärzte, führt Lauterbach an. Die gewaltigen Unterschiede ergeben sich, weil die verbeamteten Chefärzte auch Privatpatienten annehmen können – und zwar neben ihren vertraglichen Aufgaben. Lauterbach fordert deshalb, die Bevorzugung von Privatpatienten aufzugeben. Der Bürgerversicherungs-Fan sieht in einer Gleichbehandlung der Patienten die Voraussetzung für eine gerechtere Entlohnung.

An der Berliner Charité kommen durch Privatpatienten etwa 40 Millionen Euro im Jahr zusammen. Die Hälfte dürfen die Chefärzte für sich abzweigen. „In Zukunft aber werden wir Dienstverträge abschließen, in denen die Behandlung privater Patienten zur Dienstzeit gehört“, sagt der Vorstandsvorsitzende Detlev Ganten. Eine 15- bis 30-prozentige Provision will die Leitung ihren Stars aber weiterhin zugestehen – als Anreiz.