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Archiv-Artikel

Das Bild vom tricksenden Kanzler wird bleiben

Schröders Dossier offenbart scheinbar die Schwäche seiner Position. Dabei setzt seine Argumentation nur am falschen Punkt an

FREIBURG taz ■ Der Kanzler hat es nicht besser verdient. Zwar ist die ganz große Mehrheit der Deutschen für die Neuwahlen, doch die Sympathien für die beiden Abgeordneten Werner Schulz (Grüne) und Jelena Hoffmann (SPD), die die Neuwahlen in Karlsruhe stoppen wollen, sind groß. Grund dafür ist die desaströse Kommunikationsstrategie von Schröder und seinem Kanzleramt.

Jüngstes Beispiel ist die Debatte um das „Dossier“, das der Kanzler für Bundespräsident Köhler zusammengestellt hat. Schon seit Tagen kursieren einzelne Zitate aus der Pressedokumentation, die die Instabilität von Schröders Regierungsmehrheit belegen soll – und werden von den Neuwahlgegnern genüsslich ausgeschlachtet.

Doch das Kanzleramt geht auf Tauchstation, ignoriert die Debatte. Weder wird erklärt, dass diese Dokumentation nur eine (recht umfangreiche) Fußnote der juristischen Argumentation des Kanzlers darstellt. Noch wird der erste Teil des Dossiers, die 13-seitigen juristischen Ausführungen, der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. So bleibt der Eindruck haften, dass die Position des Kanzlers doch relativ dünn ist.

Erst in der mündlichen Verhandlung kommenden Dienstag wird dann die rechtliche Argumentation des Kanzlers ausführlich dargestellt. Dann wird es wohl vor allem um die Erwartungen Schröders für eine Zukunft ohne Neuwahlen gehen. Hatte Schröder Signale aus der Fraktion, dass es nach der verlorenen NRW-Wahl keine Mehrheiten mehr für die Agenda-Politik geben werde? Hat Parteichef Müntefering dem Kanzler gesagt, dass die Resultate des mit der CDU veranstalteten Job-Gipfels auf Widerstand stoßen werden?

Dass Schröder wohl nicht selbst nach Karlsruhe kommt und stattdessen Innenminister Schily schickt, deutet allerdings eher auf eine defensive Strategie hin. Dabei würde sich die Regierung im Wesentlichen auf den Beurteilungsspielraum des Kanzlers berufen, den ihm das Verfassungsgericht 1983 für die Einschätzung der Stabilität seiner Regierungsmehrheit eingeräumt hat. Damit wird er in Karlsruhe wohl durchkommen, aber das Bild des tricksenden Kanzlers kann er kaum korrigieren.

Beigetragen haben zu diesem Bild auch die frühen Kommunikationsfehler des Kanzlers. Das fing schon am 22. Mai, dem Tag der verlorenen NRW-Wahl, an. Gerhard Schröder kündigte Neuwahlen mit den Worten an, er brauche für seinen Reformkurs jetzt die Unterstützung der Bürger. SPD-Chef Müntefering begründete das Manöver mit der Blockade im unionsdominierten Bundesrat. Beide Argumente sind aber nach der Karlsruher Rechtsprechung nicht geeignet, den Weg für vorzeitige Neuwahlen freizumachen. Wochenlang musste sich Schröder von den Staatsrechtlern der Republik hierauf hinweisen lassen. Einzig zulässig ist laut Verfassungsgericht, „dass der Bundeskanzler der stetigen parlamentarischen Unterstützung durch die Mehrheit des Bundestages nicht sicher sein kann“. Darauf berief sich Schröder freilich erst am 1. Juli in seiner Rede zur Vertrauensfrage, viel zu spät also, um in der Öffentlichkeit verstanden zu werden.

Auch die Frage, wie die Vertrauensfrage ablaufen solle, ließ Schröder wochenlang im Unklaren, obwohl es darauf gar nicht ankam. Gesucht wurde eine vermeintlich saubere Lösung, statt augenzwinkernd die Inszenierung einzugestehen und durchzuziehen. Das Bundesverfassungsgericht hatte 1983 ja die „unechte Vertrauensfrage“ für prinzipiell zulässig erklärt – wer dann im Bundestag gegen den Kanzler stimmt oder sich enthält, war also völlig egal. Schröder und seine Mannschaft hatten offensichtlich das Wesen der „unechten Vertrauensfrage“ überhaupt nicht begriffen und so nur den Kritikern um Werner Schulz Nahrung geliefert.

Das Verfahren in Karlsruhe wird Schröder wohl dennoch gewinnen. Doch sein Ziel war ja nicht die Neuwahl, sondern die Wiederwahl. Und dem ist er in den letzten Wochen sicher nicht näher gekommen. Es bleibt der Eindruck: Dieser Kanzler kann nicht einmal glaubwürdig und nachvollziehbar Neuwahlen herbeiführen. CHRISTIAN RATH