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dvdeskDie Heiligsprechungder Thérèse

Tische, Stühle, Betten, viel mehr braucht Alain Cavalier nicht. Am Anfang, die nachmals heilige Thérèse (mädchenhaft, felsenfest: Catherine Mouchet) aus Lisieux wohnt noch zu Hause, da fährt der Vater mit einem Bettwärmer aus Kupfer durch ihr Bett und das ihrer Schwester. Am Ende liegt Thérèse, im gleich leeren Raum, nun im Karmelitinnenkloster im Bett, sterbend, eine Schwester bringt aus einem Draußen, das man den ganzen Film über kein einziges Mal sieht, ein winziges Fröschlein. Dann der Tod, in Großaufnahme die viel getragenen Schuhe, eine nüchterne Stimme berichtet von der Heiligsprechung des Mädchens, dessen Leben der Film als Stationendrama, in vielen Stationen und ohne großes Drama, erzählt.

Alain Cavalier, der Regisseur des Films, ist 1931 geboren, lebt noch, dreht noch, hatte im Zentrum des kommerziellen französischen Kinos begonnen, Assistent von Louis Malle, in seinen ersten Filmen spielten Romy Schneider, Jean-Louis Trintignant, Alain Delon, aber große Erfolge waren sie nicht. Er zog sich zurück, drehte nach dem Unfalltod seiner Frau acht Jahre lang nichts, das Werk ist seitdem ein Werk der Intimität. In „Martin et Léa“ (1979) filmt er ein Paar, das im richtigen Leben ein Paar ist, ohne dass es sich um eine Dokumentation handelt. In „Un étrange voyage“ (1981) schickt er Jean Rochefort auf eine seltsame Reise. Und dann 1986 „Thérèse“, ein radikaler Neubeginn, der zu einem phänomenalen Erfolg wird: Jury-Preis in Cannes, bei den Césars räumt er ab, was sich abräumen lässt.

Das Geschehen ist komplett in Innenräume verlegt. Zwar sind die Kostüme, ist die Welt der Dinge, der Tücher und Töpfe und Hauben und Betten, historisch korrekt und mit großer Sorgfalt in Szene gesetzt. All das, die Betten, das Zimmer, die Küche, wirkt dabei aber wie auf eine Theaterbühne gestellt. Der Hintergrund eine verschwommene Wand, meist taubengraugrün, nie wird der Eindruck erweckt, dass sich die dargestellte Welt über den kulissenhaften Ausschnitt hinaus fortsetzen würde. Sehr kurz sind, vor allem zu Beginn, die einzelnen Szenen, ein rasches Bild, Großaufnahme eines Gesichts, Verläufe und viele Abblenden ins Schwarze, Gläser auf dem Tisch, Hände, die nach einem Uhrenglas greifen. Der Film lauscht den Tönen der Dinge, dem Rascheln und Wischen, Schlagen und Klingen, jede einzelne Szene wird zur Vignette.

Thérèse im Gespräch mit der Schwester, ihr Drängen zu Gott in Jesu Gestalt, von dem sie spricht wie von einem, den sie heiß und innig begehrt. Ins Kloster will sie, zu den Karmeliterinnen, ein Bettelorden, arm, viel wird geschwiegen, einmal schreibt die Äbtissin an den Staat, sie könne die Steuer nicht zahlen. Thérèse im Gespräch mit den Schwestern durchs Gitter des Klosters, erst draußen, dann ist sie drinnen, ein Arzt kommt, sie zu untersuchen. Der Vater stirbt, eine vierte Schwester tritt ein in den Orden, sie hat eine Kamera, Thérèse posiert als Jeanne d’Arc, die sie verehrt, das Foto ist dem Foto, das es tatsächlich gibt, ähnlich, wie die ganz Heiligenbiografie nach dem Prinzip der Ähnlichkeit nachgestellt ist, wenngleich sich Cavalier viele Freiheiten nimmt. Er will keine Hagiografie, sondern ein ganz eigenes Bild einer sehr eigenen jungen Frau, die er zugleich als Allegorie seines neuen Bildes vom Kino begreift: Die radikale Einfachheit, für die Thérèse bis heute verehrt wird, auf sie will er mit seinen Bildern und Tönen hinaus.

Thérèse blutet, ein anderer Arzt kommt, er ist jung und sieht aus, als wäre er einem Bauerngemälde entsprungen, er diagnostiziert Tuberkulose. Sie hält mit dem Bleistift in winziger Schrift die Notizen fest, die sie berühmt machen werden. Sie stirbt jung, wird 1924 heiliggesprochen. Erst im Abspann Musik.

Der Film lauscht den Tönen der Dinge, dem Rascheln und Wischen, Schlagen und Klingen

Ekkehard Knörer

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