: Frauen in Kunst und Statistik
Geht’s wirklich voran? Die Kunstzeitschrift „Art“ untersucht „Die Lüge der Emanzipation“
Der Weltgeist steht, wie wir wissen, auf der Seite der Frauen. Seit wenigstens hundert Jahren. Folgerichtig wurde nach 110 Jahren die Leitung der Kunstbiennale von Venedig erstmals in weibliche Hände gelegt. Maria de Corral ebenso wie Rosa Martínez nutzten die Gunst der Stunde. Sie stellten deutlich mehr Künstlerinnen aus, als es sonst üblich ist. Okwui Enwezor allerdings übertrafen sie nicht, der auf der documenta11 glatt 1 Prozent mehr Frauen unterbrachte, nämlich 39 Prozent. Es geht voran.
Es geht voran? Daran hegt das Kunstmagazin Art aus Hamburg in seiner aktuellen Ausgabe so seine Zweifel. Also wurde die venezianische Frauenpower zum Anlass für einen Artikel genommen, der diesem Zweifel statistischen Ausdruck verleiht. Eine gute Idee, eine lobenswerte Recherche. Wie ist das Verhältnis der Geschlechter bei Einzelausstellungen, bei einem Großereignis wie der Biennale in Venedig, speziell beim deutschen Pavillon? Wie schaut es aus bei Ausstellungen in der Neuen Nationalgalerie in Berlin, wie bei den Kunstpreisen Kaiserring Goslar und Turner-Preis? Wie bei den Professuren, den Studierenden an Kunsthochschulen und bei der Besetzung der Direktorenposten europäischer Kunstmuseen? So lauteten die Fragen und die Antworten fielen erwartungsgemäß aus: Trostlos schaut es aus. Aus der Perspektive der Frauen. Mehr als tröstlich aber aus der Perspektive der Männer. Der Weltgeist hat sich doch nicht gegen sie verschworen.
Doch leider, mit der Recherche und der Statistik, die unter www.art-magazin.de auch aus dem Internet heruntergeladen werden kann, ist des Lobens auch gleich ein Ende. Denn eine Zahlenreihe fehlt. Und sie hätte man doch gewiss erwartet: Wie eigentlich stellt sich das Verhältnis von Künstlern und Künstlerinnen in der Berichterstattung der Zeitschrift Art dar? Und wenn man – verständlicherweise – nicht allein in Erklärungsnöte kommen will, hätte man dann nicht nachschauen sollen, wie sich dieses Verhältnis im sonstigen deutschen Feuilleton gestaltet?
Die Leser hätten die Gründe des Ungleichgewichts bestimmt verstanden. Wenn von 21 Turner-Preisträgern seit 1984 nur 2 weiblich sind, dann wird eben schon in diesem einen Fall die Berichterstattungsquote 19 zu 2 sein. Und wenn bei Christie’s Luc Tuymans schlecht gemalte Bilder bei 1,47 Millionen Dollar den Zuschlag erhalten, während Elisabeth Peytons schlecht gemalte Bilder schon bei 800.000 Dollar weggehen, dann kann auch das ein Grund für die verminderte Wahrnehmung von Künstlerinnen in den Medien sein, nicht wahr?
Aber nicht nur diese aufschlussreiche Leerstelle stört. Es irritiert auch, dass die Zeiträume zu ungenau sind, um aussagekräftige Daten zu erhalten. Warum wurden nicht die letzten zehn Jahre eigens untersucht, um zu sehen, ob der Druck der Frauen allmählich greift? Hat sich hier mehr geändert als in den Jahren davor? Treten die Frauen auf der Stelle? Beobachtet man gar einen Rückschlag? Das hätte man doch wirklich gerne gewusst.
Künstlerinnen, so legt es der oberflächliche Charakter des Artikels nahe, sind nicht wirklich ein Anliegen von Art. Nur hin und wieder ein Thema.
BRIGITTE WERNEBURG