Europasportpark Landsberger Allee: Dornröschenschlaf in Beton

Der Europasportpark wurde nach der gescheiterten Bewerbung um Olympia 2000 nie fertig gebaut. Jetzt will der Senat das Projekt neu beleben.

Nach der gescheiterten Olympiabewerbung 2000 nie zu Ende gebaut: Der Europasportpark Foto: Christian Thiel

Dunkelheit liegt hinter der unscheinbaren Tür im Obergeschoss des gut besuchten Schwimmbads an der Landsberger Allee. Das schummrige Taschenlampenlicht von Badleiter Martin Jähnes Smartphone wirft graue Schatten auf den rohen Beton des weitläufigen Raums. Gut zwei Volleyballfelder fänden ohne Weiteres Platz unter der kahlen Decke. Zwischen dem meterdicken Stahlbeton der Schwimm- und Sprunghalle im Europasportpark (SSE) schlafen Berlins geplatzte Träume.

Einzelne Kabelstränge hängen von der 5 Meter hohen Decke wie Lianen in einem Indiana-Jones-Film. „In diesem Bereich war eine Saunalandschaft geplant“, erzählt Jähne mit dem leuchtenden Smartphone in der Hand. Er weist in Richtung einer Reihe schwarzer Durchgänge. „Dort war sogar eine Schneekammer zum Abkühlen vorgesehen – mit richtigen Schneekanonen.“

Nur wenige Meter trennen das belebte öffentliche Schwimmbad und die Wettkampfhalle im unterirdischen Europasportpark von den bunkerartigen Gewölben. An der Grenze zu Friedrichshain und Lichtenberg gelegen befindet sich die riesige Schwimmanlage gerade noch in Stadtteil Prenzlauer Berg. Inmitten von Bezirken mit akutem Platz- und Wohnungsmangel liegen also circa 6.000 Quadratmeter brach. Seit über zwanzig Jahren.

„Das Schwimmbad und das Velodrom wurden 1992 für Berlins Bewerbung auf Olympia 2000 geplant“, so die Senatsverwaltung für Inneres und Sport von Senator Andreas Geisel (SPD) auf Anfrage der taz. Als die Wahl 1993 überraschend auf Sydney fiel, hielt der damalige Senat dennoch am Bau des Europasportparks fest. Daraufhin wurde die auf dem Gelände befindliche Seelenbinder-Halle abgerissen und die neue Sportstätte erbaut. Die Kosten: satte 246 Millionen D-Mark.

Gegenüber den ursprünglichen Planungen wurden allerdings einige Teile des Gesamtkomplexes aus Kostengründen nicht fertiggestellt. So kostete der Bau am Ende 12 Millionen weniger als geplant. „Es wurde damals nur das ausgebaut, was für den Betrieb der Schwimmhalle notwendig war“, erinnert sich der heutige Badleiter. Nach Fertigstellung übernahmen die Berliner Bäder im Auftrag des Senats den Betrieb des Sportparks.

Das Geld zum Ausbau fehlte

Seitdem stehen die nicht entwickelten Flächen, allesamt Landeseigentum, leer. Es fehlte schlicht an Geld zum Ausbau, so der Senat. Geschichte wurde Legende, Legende wurde Mythos – bis der Sportausschuss 2018 bei einer Besichtigung des Europasportparks zum wiederholten Mal auf den enormen Leerstand hingewiesen wurde. So erklärt zumindest Philipp Bertram, sportpolitischer Sprecher der Linksfraktion, das späte Erwachen der Politik. „In dieser Gegend ist es schlicht nicht hinnehmbar, Tausende Quadratmeter liegen zu lassen“, so Bertram.

Auch der Bezirk Pankow war Ende 2018 hinsichtlich der Freiflächen an den Senat herangetreten. In diesem Sinne stellten die Regierungsfraktionen von SPD, Linken und Grünen im April 2019 einen Antrag im Abgeordnetenhaus, um Machbarkeitsstudien zu möglichen Nutzungsvarianten für die Räume zu erstellen. Voraussichtlich noch Ende des Monats soll der Antrag beschlossen werden. Die nächste Plenarsitzung des Abgeordnetenhauses ist am 16. Januar.

Doch einstweilen herrscht Stille in den Gewölben. Die Idee, den Sportkomplex unter eine Grünfläche zu verbannen, stammt vom französischen Architekten Dominique Perrault und entspringt historischen Motiven: Hitler hatte die Olympischen Spiele 1936 massiv für faschistische Propaganda instrumentalisiert. Mit dem Versenken der Konstruktion wollte man bei der Bewerbung um die Spiele im Jahr 2000 auf „vordergründige Selbstdarstellung“ verzichten und eine „angemessene Zurückhaltung“ ausdrücken, heißt es im Architekturführer zum Bau. Die „unsichtbaren Hallen“ des Europasportparks: ein praktischer Gegenentwurf zum bombastischen Olympiastadion.

Durch einen nackten Treppenschacht steigt Badleiter Jähne weiter hinab, wie Gandalf in die Minen von Moria. „Jetzt kommt mein persönliches Highlight“, sagt er stolz. Die Treppe mündet in einen Raum mit schräger Decke. Wie ein halbes Kirchenschiff türmt sich der Beton über einem steinernen Becken auf. „Hier sollten zwei Gegenstromkanäle eingebaut werden“, sagt Jähne. Hochinteressant für die Videoanalyse im Profi-Schwimmsport. Das sei jedoch vom Tisch, seit in den Nullerjahren eine solche Anlage im Sportforum Hohenschönhausen gebaut wurde.

Der Leiter der Sportparks schlägt deswegen die Einrichtung eines 25-Meter-Beckens für die Deckung des gestiegenen Wasserflächenbedarfs in Berlin vor. „Hier hätten fünf Bahnen Platz. Das wäre um einiges billiger und nachhaltiger als Traglufthallen oder Ähnliches“, sagt Jähne.

Angebote für Vereine und Kitas

Was die künftige Nutzung angeht, wünscht sich Philipp Bertram von der Linken einen Dreiklang aus Flächen für eine Kita und Sportvereine sowie den sogenannten „unorganisierten Sport“. Gemeint sind Angebote außerhalb von Vereinen, etwa fest installierte öffentliche Fitnessgeräte. „Laut der Sportstudie Berlin 2017 organisieren die Berliner:innen drei Viertel ihrer sportlichen Aktivitäten ohne Vereine oder Unternehmen“, so Bertram. Im neuen Landeshaushalt sind erstmals 50.000 Euro für Konzepte zu entsprechenden Angeboten vorgesehen.

Auch der baupolitische Sprecher der Grünen, Andreas Otto, wünscht sich eine Mischnutzung. „Wir sollten Sport und Kindergarten übergreifend denken“, so Otto. Außerdem seien in den letzten Jahren rund um den Sportkomplex mehrere neue Schulen eingerichtet worden, mit denen man nun zusammenarbeiten könne.

Das Bezirksamt Pankow beteuerte auf Nachfrage der taz zunächst die Zuständigkeit des Senats. Man befürworte allerdings die Prüfung möglicher Nutzungen durch „umliegende Schulen und Sportvereine sowie für bezirkliche Infrastruktur“.

Badleiter Jähne erzählt, er habe schon früh eine Sport-Kita vorgeschlagen: „Es gibt ja schließlich auch Musik-Kitas.“ Für eine nötige Auslauffläche könne man beispielsweise über einen Durchstoß zum Park nachdenken, der auf dem Dach des Europasportparks liegt.

Der Verband der kleinen und mittelgroßen Kitaträger (VKMK) zeigt sich skeptisch: „Kitas müssen naturbeleuchtet sein“, so Geschäftsführer Békési. Bedarf bestehe allerdings im betroffenen Gebiet durchaus. „Wenn man vor Ort geeignete Räumlichkeiten findet befürworten wir das Konzept einer Sport-Kita sehr.“ Allerdings sei das Genehmigungsverfahren ohnehin langwierig. „Eventuell wäre eine Holzkonstruktion oben auf dem Dach des Sportparks sinnvoller“, so Békési.

Ein Fitnessstudio untertage

Der Ortskundige Jähne schreitet untertage durch eine weitere Halle – in der ursprünglichen Planung ein Fitnessstudio. „Wenn man hier ausbaut, dann sollte man es nachhaltig tun.“ Allerdings mahnt er an: „Eine Aufwertung des Standortes würde auch zu mehr Verschleiß führen.“ Entsprechend wäre für den Betrieb des Schwimmbades mehr Geld nötig.

Die Finanzierung etwaiger zukünftiger Nutzungen ist derweil ohnehin noch ungeklärt. Bereits bei vergangenen Gesprächen der Berliner Bäder mit möglichen Nutzern war fehlendes Geld das Todesurteil für Verhandlungen gewesen. Außerdem habe Interessenten gestört, dass die Schwimm- und Sprunghalle im Europasportpark als Wettkampfstätte mehrere Wochen im Jahr nicht öffentlich zugänglich ist.

Zwar gab nach Aussagen des Senats die Baufirma die Kosten für einen Ausbau im Jahr 2000 mit 3,5 Millionen D-Mark an – umgerechnet und inflationsbereinigt rund 2,4 Millionen Euro. Allerdings dürfte diese Summe für einen heutigen Ausbau kaum ausreichen, so Christian Müller, Vorstandsmitglied der Berliner Baukammer: „Bei 6.000 Quadratmetern wären nach heute gängigen Rechnungen eher zwischen 3 und 6 Millionen Euro realistisch.“

So oder so, eine Nutzung der Flächen fände Badleiter Jähne gut, sagt er, als er die Tür zur Unterwelt wieder schließt. „Was nicht schön ist, das ist tote Fläche“, so der Badleiter. „Denn tote Fläche ist totes Kapital.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.