: Enigma Ruch
Alles in allem habe ich etwa 14 Jahre im Weinberg des Kalle Ruch, Verzeihung: in seiner taz gearbeitet. Ungefähr dieselbe Anzahl von Worten hat Ruch in diesen Jahren direkt an mich gerichtet. Das war mir ganz recht, mehr hätte ich wahrscheinlich gar nicht überlebt. In stiller Ehrfurcht hielt ich mich, so gut es ging, fern von diesem mächtigen, rätselhaften Mann, tatsächlich hatte ich nackte Angst. Kalle war mir unheimlich. Auf Betriebsfeiern etwa hatte er die seltsame Angewohnheit, plötzlich neben mir zu stehen, wie aus dem Nichts aufzutauchen und mich dann mit einer einsilbigen Frage vollkommen aus der Bahn zu werfen, er stand plötzlich da und fragte: „Na?“
Na? Na?! Was sollte ich darauf antworten? Was könnte er wollen? Welchen Plan schmiedete er, war ich dabei etwa im Weg? Ich wollte keinesfalls im Weg stehen, denn sonst, wer weiß, er ist gut bekannt mit Jony Eisenberg. Schweißgebadet redete ich mich um Kopf und Kragen, und während ich noch plapperte, war er schon wieder verschwunden, wie ein Geist, der Geist der taz, überall und nirgends gleichzeitig. Was hatte ich verraten? Was hatte ich angerichtet? Es war schrecklich.
Aber natürlich war gar nichts. Ich glaube heute, das war das Geheimnis des Erfolgs seiner langen Karriere: Karl-Heinz Ruch wusste alles. Aber niemand wusste, was Kalle alles wusste. Meine längste Unterredung mit Kalle hatte ich dann am Tag meiner Kündigung. Das war es also, was man tun musste, um entspannten Smalltalk mit ihm haben zu können. Es war ein sehr nettes Gespräch.
Stefan Kuzmany, 47, arbeitete von 1996 bis 2010 für die taz und ist Kalle bis heute dankbar, dass er sich so gut um die Grünpflanzen auf dem Dachgarten gekümmert hat.
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