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Archiv-Artikel

Paralympics in Olympia integrieren?JA

SPORT Am Mittwoch beginnen die Paralympics. Die große Olympia-Party fand schon ohne die Behindertensportler statt

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Gesine Lötzsch, 51, ist seit 2005 stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion

Das olympische Wettrüsten muss beendet werden. Der Gigantismus stößt an seine physischen und finanziellen Grenzen. Nur übermenschliche Höchstleistungen verlieren auf lange Sicht ihren Reiz. Die Olympischen Spiele müssen sich ändern, wenn sie attraktiv bleiben wollen. Die Gleichzeitigkeit von Olympischen Spielen und Paralympics könnte ein lebensnäheres Bild des Sports zeichnen. Ich glaube nicht, dass sich durch die Gleichzeitigkeit eine Konkurrenz ergeben würde. Das Interesse wäre eher größer und vielfältiger. Noch besser wäre es natürlich, wenn auch die Special Olympics Teil dieses sportlichen Weltereignisses werden könnten, damit auch Athleten mit geistiger Behinderung eine Chance bekommen, ihr Können einer breiten Öffentlichkeit unter Beweis zu stellen. Sie gehören dazu, beim Sport und überall.

Andreas Onea, 20, einarmiger österreichischer Schwimmer, studiert in Wien Wirtschaft

Nach der derzeitigen Entwicklung wäre das der nächste logische Schritt. Seit Jahren versucht man, die Paralympics den Medien schmackhaft zu machen und mit mehr TV-Zeit zu punkten. Die Erfolgskurve zeigt zwar stetig nach oben, jedoch gibt es immer noch viele Länder, in denen die Paralympic Games der breiten Masse nicht bekannt sind oder mit den Special Olympics verwechselt werden: „Ist doch alles das Gleiche, oder?“ Alldem könnte man entgegenwirken, wenn man Olympische und Paralympische Spiele zur gleichen Zeit abhielte. Die Medien wären schon da, und so könnte man in der paralympischen Bewegung von zusätzlicher Aufmerksamkeit profitieren. Eine Integration würde das Zusammenleben im olympischen Dorf bereichern. Man stelle sich vor, dass nicht nur Menschen aus aller Welt und vielen verschiedenen sozialen Schichten, sondern auch Nichtbehinderte und Menschen mit Handicap auf engstem Raum zusammenleben! Wo kann man den Umgang mit paralympischen Athleten besser erlernen?

Ralf Bächle, 42, Softwareentwickler, kommentierte unsere Frage per E-Mail Ich kenne seit Jahren Alexander Spitz, einen Skifahrer aus unserer Gegend, der früh durch Knochenkrebs ein Bein verlor. Kurz darauf war er wieder zurück im Wettkampfsport. Ich habe ihn oft aus Spaß Skirennen gegen Nichtbehinderte fahren sehen. Verloren hat er nie. Ich habe ihn von der damaligen Jugendschanze in seinem Heimatort bis zum kritischen Punkt der Schanze (die Landung fühlt sich an, als würde man als Klavier aus dem dritten Stock geworfen werden) beobachtet. Ich habe ihn einen Steilhang von 110 Prozent Steigung auf vollen Angriff herunterfahren sehen. Alexander hat den Wettkampfsport aufgegeben, aber jemand wie er kann nur als Vorbild dienen. Und langweilig? Keine Spur. Es ist Zeit, den Paralympioniken den Platz zu geben, den sie verdient haben.

Udo Lindenberg, 66, deutsche Rock-Ikone, wohnhaft im Hamburger Hotel Atlantic ja kla, is supercharmant, dass so nah beieinanderzuhaben, schafft mehr aufmerksamkeit fuer die Betroffenen, die es ja nich soooo leicht haben in life und überhaupt …

NEIN

Michael Vesper, 60, ist Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes Olympische Spiele faszinieren, nur hier treffen sich derart viele Nationen und Kulturen. Also zieht es auch die Paralympics zu Olympia. Deshalb vergibt das IOC Sommer- und Winterspiele gezielt nur an Bewerber, die beides ausrichten. Zeitgleiche Events streben weder das IOC noch das Internationale Paralympische Komitee (IPC) an, weil die Spiele an ihre Grenzen stoßen und wegen der ökonomischen und ökologischen Folgen für die Städte gedeckelt sind: 10.500 Athleten waren die Obergrenze in London, 4.200 sind es bei den Paralympics. Letztere entwickelten sich in der Vergangenheit zudem zu einer eigenen Marke. Das IPC hat deshalb die Vereinbarung mit dem IOC, Olympia und Paralympics nacheinander am selben Ort durchzuführen, bis 2020 verlängert.

Dagmar Freitag, 59, SPD, ist Vorsitzende des Sportausschusses des Bundestages

Um deutlich zu machen, dass Spitzensport von Menschen mit und ohne Behinderungen gleichermaßen wertgeschätzt wird, müssen Olympische und Paralympische Spiele nicht gleichzeitig ausgetragen werden. Allein der logistische Aufwand wäre bei einer Zusammenlegung enorm: ein größeres olympisches Dorf, mehr Sportstätten, höhere Transport-, Hotel- und Verpflegungskapazitäten – und all das in Zeiten, in denen der Gigantismus Olympischer Spiele kritisiert wird. Die Berichterstattung würde sich vermutlich eher auf die olympischen denn auf die paralympischen Athleten konzentrieren. Mir sind zwei eigenständige Veranstaltungen lieber: zwei großartige Sportfeste für Sportlerinnen und Sportler, die sich jahrelang auf diesen Moment vorbereitet haben.

Rainer Schmidt, 47, gewann bei sieben Paralympics sieben Medaillen im Tischtennis

Nein, denn die Olympischen und Paralympischen Spiele sind für mich gleichwertige Sportveranstaltungen. Sie finden am selben Ort, in denselben Sportstätten, mit derselben professionellen Durchführung vor begeistertem Publikum statt. Am wichtigsten aber: Die da laufen, spielen und wettkämpfen sind gleichermaßen leidenschaftliche Athlet/Innen. Die Spiele bieten in verschiedenen Startklassen, für unterschiedliche Hochbegabungen faszinierende Wettkämpfe an. Bleibt die Frage, ob wir den Leistungen hier wie dort dieselbe Aufmerksamkeit und Bedeutung geben? Die Antwort jedenfalls ist unabhängig vom Zeitpunkt der jeweiligen Spiele.

Kirsten Bruhn, 42, Behindertensportlerin, will in London wieder Gold im Schwimmen Das geht in die Richtung der utopischen Vorstellungen. Logistisch ist es wohl nicht umsetzbar. Zudem glaube ich, dass wir Paralympioniken das Nachsehen hätten. Der Mensch vergleicht immer alles mit dem Optimum und dem Perfekten. Es wäre schon ein enormer Fortschritt, wenn man in den jeweiligen Sportarten die Europa- und Weltmeisterschaften parallel ausrichten würde. Die Medien wären sowieso schon vor Ort, und es würden beide voneinander lernen, partizipieren und Nutzen ziehen können. Das wäre doch mal ein Ziel, das wirklich anstrebsam und umsetzbar ist!