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Archiv-Artikel

Fremdschämen für die Vogelnestfrisur

ZWITTER HGich.T machen irgendwas zwischen Gummizelle und Goa-Trance. In den Sophiensælen vertreiben die Performancekünstler das Kulturpublikum und beglückten die Party-People

Der Abend war danach gelaufen. Kopfschmerzen und leichte Desorientierung. Das mag am Dauereinsatz der Nebelmaschine gelegen haben, an dem süßlichen Geruch der Räucherstäbchen, oder aber einfach an der Überreizung des Geschmacksempfindens. Zum Thema Schock hatte das Freischwimmer Festival für junges Theater in die Sophiensæle geladen und gekommen waren unter anderem HGich.T aus Hamburg, ein loses Kollektiv von Performancekünstlern, Musikern oder Freaks. Am Freitag und Samstagabend gaben sie eine Art Konzert mit viel „Kacka und Pullern“ inmitten von fluoreszierender Fadendeko, das dem Motto des Festivals wahrscheinlich gerecht wurde. Zumindest verließ ein Drittel des Publikums am Freitag vor Ende den Saal.

Abbildung einer Party

Vielleicht aber wurden die Menschen auch einfach nicht konsequent genug unterhalten, denn es gab keine zusammenhängende Geschichte, sondern impulshaften Trubel. Auf der Bühne war ein Goa-Festival aufgebaut worden, das Langeweile und Stereotypen einer Party ganz gut abbildete. Bunte Lichter, Pilzbilder gemalt mit Neonfluorfarbe und ein Dixiklo sind die Requisiten für das, was ab den Neunzigern auf norddeutschen Wiesen vollkommen ironiefrei zelebriert wurde. Ein neues Hippietum, das fernab des Mainstreamverdachts den plumpen Landraver und die internationale Profifeierszene zusammenbrachte. Mit Bananen, Red Bull und Jägermeister, tanzte eine Feiermaus in Hotpants, Plateauturnschuhen und am Kopf zu zwei Bommeln zusammengedrehten Dreadlocks, über Bühne und Publikum. Immer hinter ihr, der dumpfe Raver mit Vogelnestfrisur in Windel und orangefarbener Bauarbeiterweste, der gruselige Speedfratzen imitierte.

Oder eben nicht imitierte. Identitäten müssen hier nämlich gar nicht hinterfragt werden. Auch der Sänger, dem man in guter alter Schubladenmanier, den Versicherungsvertretern oder Nerds zuschreibt, schien nicht gerade verkleidet zu sein. Mit dem Hemd in die Jeans gesteckt und einer Handynummer auf die Stirn geschrieben, nuschelte er zu Schlagerbeats und Goa-Bummbumm die Hits „Tripmeister Eder“ oder „Hauptschuhle“. Dazu malte eine Frau in Skianzug Genitalien auf kleine Leinwände, Musiker drückten auf Play und auch die beiden Jungs, die die ganze Zeit am Rand standen, schienen irgendwie mit dazuzugehören. „Ich will raus aus meinem Körper“, krächzt der Sänger, der sich Anna-Laura nennt, in die Kamera des ensembleeigenen Fotografen, der später auch Ostfriesenwitze erzählen durfte. Alle wirkten etwas planlos. Party halt.

Eine handvoll junger Fans konnte die Texte Wort für Wort mitsingen und vollführte die stampfenden Tanzbewegungen, die auf der Bühne parodiert wurden. Das ältere, am Eingang über Pina Bausch sprechende Publikum, sah man schon in sein Unglück rennen, aber es blieb standhaft und suchte nach Sinn, wo vermutlich keiner war. „Tut ja nicht so, als hättet ihr was verstanden. Macht euch doch nicht lächerlich“, ruft der taumelnde Sänger. Daran kann man sich wenigstens festhalten.

„Das System ist das Problem, ja? Das System ist das System, ja?“ Das sind so die Sätze für die HGich.T gefeiert werden. Ihre fast aggressive Antiästhetik und das scheinbare Aufs-Korn-Nehmen der grenzdebilen Polytoxikomanen findet in Teilen der feinsinnigeren Clubszene seine Anhänger und wurde auf YouTube zum Hit. „Der Erfolg kam erst durch die Drogenverherrlichung“, werden HGich.T in einem Artikel zitiert. Aber viel spannender wird das Projekt, wenn man es einem Theaterpublikum vorsetzt, dem die Codes eher fremd sind. Wenn das Publikum fast ergebnislos zu Kaka-Sprechchören animiert wird, wenn Anna-Laura von seinem prügelnden Vater singt, setzt ein Fremdschämen ein. Und dann schämt man sich plötzlich selbst, weil einem alles so unangenehm ist und sich zwar unbeeindruckend, aber trotzdem ganz heimlich ins Bewusstsein schleicht. Vielleicht machte das diesen Abend so anstrengend. „Künstlerschweine, ich breche euch die Beine“, singt die Frau im Skianzug noch, und alles ist wieder gut. Dann stolpern HGich.T in ein vernebeltes Ende. LAURA EWERT