: Die Linkspartei bleibt alternativlos
In Siegerlaune wählt die PDS Gregor Gysi zu ihrem Spitzenkandidaten und tauft sich in „Die Linkspartei. PDS Berlin“ um. Die Wahlalternative WASG darf chancenlosen Listenplatz 6 erobern. Der heftig kritisierte Hakki Keskin hingegen bekommt Platz 4
VON MATTHIAS LOHRE
Niemand kann so charmant die unschöne Wahrheit sagen wie Gregor Gysi. Nicht dass der Chef-Rhetoriker der Linkspartei immer ehrlich wäre. Aber als sich der 57-Jährige am Wochenende zum Spitzenkandidaten seines Landesverbands für die Bundestagswahl küren lässt, da redet er zunächst eine Viertelstunde lang recht lustlos vor sich hin. Mal über zu erhöhende Steuern für Reiche, mal über Oskar Lafontaine. Und dann sagt er die schönen Sätze: „Deshalb möchte ich, dass Ihr mich auf Platz 1 wählt. Und dann schauen wir einfach mal weiter.“
Das Umfragehoch der Bundespartei beflügelt sichtlich auch die Berliner GenossInnen. Sie können bis zur Bundestagswahl in sechs Wochen kaum noch etwas falsch machen. Fehlende politische Inhalte stören die WählerInnen nicht. In dieser Siegerlaune legten die Delegierten am Sonntag den geliebten Namen „PDS“ ab. Als letzter der 16 Landesverbände stimmten die Berliner bei nur drei Gegenstimmen für die Umbenennung in „Die Linkspartei. PDS“ mit dem Zusatz „Berlin“.
Wie erwartet winkten die 122 Delegierten auch die KandidatInnen für die Landesliste durch: Nach Gregor Gysi auf Platz 1 (93 Prozent) folgen Petra Pau (97 Prozent) und Gesine Lötzsch (91 Prozent). Alle drei treten auch als WahlkreiskandidatInnen an. Lötzsch will ihr Direktmandat in Lichtenberg verteidigen, Pau kandidiert wieder in Marzahn-Hellersdorf, Gysi wirbt in Treptow-Köpenick um Erststimmen.
An einem Tisch hinter den Delegierten saß etwas verloren die Handvoll „Gäste“ von der WASG. Ihre Vertreterin Renate Herranen kandidierte gegen den vom Vorstand vorgeschlagenen Hakki Keskin für Platz 4. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde steht bei Teilen der PDS und in der WASG in der Kritik. Aus ihrer Sicht verharmlost das langjährige SPD-Mitglied den Völkermord an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs. Als mehrere PDS-VertreterInnen eine eindeutige Stellungnahme Keskins forderten, reagierte der Angesprochene unwirsch: „Das finde ich völlig unfair, wie hier mit einem Kandidaten umgegangen wird.“ Doch zum Armenier-Genozid sagte der Lehrstuhlinhaber für Migrationspolitik in Hamburg nur, eine Kommission möge die Angelegenheit untersuchen. Wenig Freunde in der PDS hat der parteilose Keskin auch, weil er als aufgepropfter Kandidat des Parteichefs Lothar Bisky gilt. Ein Delegierter sagte kühl: „Tag, Herr Keskin. Ich sehe Sie heute zum zweiten Mal.“
So groß die Unzufriedenheit der GenossInnen über Keskin auch war, die Aversionen gegen die Ex-PDSlerin Herranen waren größer. Knapp 60 Prozent der VertreterInnen folgten der Parteiräson und stimmten für Keskin, der auch zum Direktkandidaten in Tempelhof-Schöneberg gekürt wurde. Herranen bekam weniger als neun Prozent der Stimmen. Der noch aussichtsreiche Platz 5 ging mit großer Mehrheit an die Bezirksbürgermeisterin von Kreuzberg-Friedrichshain, Cornelia Reinauer.
Nur einmal entglitt der Parteiführung die Regie. Gegen den Willen des PDS-Vorstands kandidierte das WASG-Mitglied Ralf Krämer bereits auf Platz 6 statt auf 7. Der 45-jährige Ver.di-Gewerkschaftssekretär sprach sich in seiner Rede, nervös von einem Bein aufs andere wechselnd, für eine nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik aus. Mit 55,5 zu 40,3 Prozent setzte sich der WASG-Kandidat gegen die kurdischstämmige Evrim Baba durch – obwohl Krämer früher die Politik des rot-roten Senats kritisiert und im vergangenen Jahr die PDS verlassen hatte. Als der sichtlich von seinem Erfolg Überraschte die Glückwünsche für seinen – bei der Bundestagswahl chancenlosen Listenplatz – entgegennahm, war auch ein Blumenstrauß von PDS-Landeschef Stefan Liebich dabei. Aber ein ganz kleiner.
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