berliner szenen: Heini ist besser als Rio
Als wir in Lübeck losfuhren, kam die Begrüßung vom Band, was mir gut gefiel, da es nur selten geschieht. Beschwingt wie ein Radio duzte das Band die lieben Fahrgäste. Hätte es der Busfahrer getan, wäre es unhöflich gewesen, ein Tonband dagegen kann sich alles erlauben. Während der Fahrt schaute ich aus dem Fenster auf die vorbeiziehenden Windparks und dachte an Eckhard Henscheids berühmten Roman „Die Vollidioten“, der eigentlich meiner großen Schwester gehört hatte.
Das Buch war in den 1970er Jahren ein Hit gewesen und ist gerade – wie Theweleits „Männerphantasien“ – noch einmal erschienen. In einer Rezension wurde pflichtgemäß von der Neuen und alten Frankfurter Schule berichtet, dass in den „Vollidioten“ ununterbrochen getrunken wird, blieb dagegen unerwähnt. Henscheid hatte das Trinken so mitreißend beschrieben, dass man sich betrunken immer darüber freute, auch ein Vollidiot zu sein. „Die Vollidioten“ waren das Pendant zum Woodstock-Film gewesen und zur Politik war man dann über die Einladung von Ton, Steine, Scherben gekommen, weil mein Vater ja auch „Arbeiter“ gewesen war, wie meine Mutter immer betonte, obgleich „Heizungsmonteur“ offiziell, glaube ich, eher „Handwerker“ ist. In Berlin ist der Handwerker ein scheues Reh und Anfang der 1980er Jahre hatte ich nachts auch einmal „Keine Macht für Niemand“ an eine Wand geschrieben und mich dabei ein bisschen peinlich gefühlt.
Als ich nach Berlin zog, habe ich die Platte auf dem Flohmarkt verkauft. Das ist schon lange her, und zum Abschied siezte einen der Busfahrer wieder, entschuldigte sich für die Verspätung und wünschte noch einen schönen Abend. Leider war es zu spät, um noch dagegen zu protestieren, dass staatlicherseits der „Heini“ ab- und ein Rio-Reiser-Platz angeschafft wurde. Detlef Kuhlbrodt
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