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Trauer, Liebe und Glück

Der deutsch-portugiesische Sänger Telmo Pires ist mal wieder in Deutschland zu Gast. Die Tour ist seiner Liebe zum Fado gewidmet. Diese Volksmusik aus Lissabon sei nicht nur melancholisch, sagt Pires, sondern porträtiere das Leben in all seinen Facetten

Von Jan Feddersen

taz: Telmo Pires, Sie wurden in Portugal geboren und leben auch dort – und sprechen doch ein absolut akzentfreies Deutsch. Wie erklärt sich das?

Telmo Pires (lacht): Ja, ich bin ein Vorzeigeausländer, weil ich so perfekt Deutsch spreche. Nein, meine Geschichte geht anders. Meine Eltern kommen aus einem kleinen Dorf bei Bragança, ein Städtchen mit königlicher Geschichte im äußersten Nordosten Portugals. In den siebziger Jahren kam ich als Zweijähriger mit meinen Eltern nach Deutschland. Sie waren Gastarbeiter, wie man damals so sagte, ohne angefeindet zu werden. Als wir Bragança verließen, konnte ich auf Portugiesisch gerade „Mama“ und „Papa“ sagen.

Sie sind, ließe sich sagen, ein Mann aus Deutschland, der in Lissabon lebt?

Ich würde sagen: ein Europäer. Ich habe viele Heimaten. Geboren in Bragança, aufgewachsen im Ruhrgebiet. Mein Vater arbeitete in einer Glasfabrik in Altenessen, meine Mutter war Hausfrau. Jetzt lebe ich wieder in Lissabon, wobei ich auch viele Jahre in Essen lebte, danach in Berlin … Ich bin ein Wanderer. Ich finde es sehr schön, an so vielen Orten nach Hause kommen zu können.

War Ihr künstlerisches Leben vorgezeichnet?

Im Gegenteil, nein. Zum Schock meiner Eltern fing ich auf dem Gymnasium mit der Musik an. Die fanden das so unmöglich, so krass falsch, dass ich sofort nach dem Abitur mit 18 aus dem Elternhaus gezogen bin. In meinem Zuhause hat es nicht so funktioniert, wie ich es gern gehabt hätte – also habe ich mich auf meinen eigenen Weg gemacht.

Hatten sich Ihre Eltern Sorgen gemacht?

Meine Eltern haben immer hart gearbeitet, damit ihre Kinder eine bessere Zukunft haben. Sie leben seit 2008 wieder in Bragança. Meine Eltern wollten, dass es ihren Kindern besser geht, das ist wohl für alle Eltern wichtig. Das ist ihnen aber, aus ihrer Sicht, nur teils gelungen, ich bin ja Musiker geworden.

Und das gefällt ihnen immer noch nicht?

Es wäre erfüllender für sie – aber wir sind ja nicht auf der Welt, um unbedingt die Wünsche unserer Eltern zu erfüllen –, wenn ich etwas Repräsentativeres wäre.

Wie bitte?

Ja, wenn der Sohn Lehrer geworden wäre, Arzt oder Anwalt. Irgendetwas, das greifbar ist, vorzeigbar. Ich bin der Einzige in meiner Familie, der irgendetwas mit Kunst zu tun hat. Künstler zu sein ist für meine Eltern kein Job, höchstens eine Art Hobby.

Waren sie denn nie in Ihren Konzerten?

Doch, natürlich, in Portugal, aber auch in Deutschland, als sie noch im Ruhrgebiet lebten. Sie sahen mich auch im Fernsehen. Wahrscheinlich haben sie sich an mein Leben gewöhnt, dass ich das ernst meine. Unser Verhältnis ist ja nicht zerrüttet, im Gegenteil. Mein Vater war in der Erziehung sehr streng, vielleicht aus Angst, dass ich auf die schiefe Bahn komme. Es gab in meiner Jugend immer Stress, wenn ich Musik machen wollte, etwa mit Bands probte. Ich musste also raus, bin nach Essen ins Wohnheim gezogen und habe von dort meine künstlerischen Wünsche gelebt.

Spielte Musik in Ihrem Elternhaus keine Rolle?

Doch, wir hörten alle wahnsinnig gern deutsche Musik, meine Mutter ließ fast keine Folge der „ZDF-­­Hitparade“ aus. Wir hörten, was so alle ­hörten. Zugleich aber auch die ­Schallplatten aus den sechziger und siebziger Jahren, die mein Vater aus Portugal ins Ruhrgebiet mitgenommen hatte.

Wie kamen Sie zum Fado, der Musik, die am stärksten mit Portugal in Verbindung gebracht wird?

Zwei Stimmen ragten aus der Schallplattensammlung meiner Eltern heraus – die Fado-Legenden Amália Rodrigues und Carlos do Carmo –, die hörte ich als Dreijähriger schon, sie waren mir vertraut, ihre Stimmen habe ich immer wieder aus allen anderen herausgehört. Dass ich auf diese Musik so abfuhr, war meinem Vater und meiner Mutter allerdings nicht so ganz geheuer.

Was ist Fado eigentlich? Ist er wirklich so traurig, wie das Klischee besagt?

Fado ist nicht nur traurig. Fado ist der Tango, das Chanson, der Blues Portugals – eine Musik, die sehr stark an eine Stadt gebunden ist und ihre Geschichten erzählt, die ihrer Menschen. Der Fado hat seinen Anker vor allem in Lissabon, er porträtiert das Leben schlechthin. Trauer, Liebe, Glück … Alles kann Thema im Fado sein.

Was Touristen in Portugal in nur engeren Grenzen serviert bekommen.

Man hat sich an das Bild des ach so exaltierten und melancholischen Fado gewöhnt, mit Frauen und Männern, die sich dramatisch auf die Brust schlagen, weil es marktgängig ist, Umsatz macht, weil es den Auswärtigen besonders gefällt. Das ist der Grund, warum der Fado immer wieder unnötig mit starker Traurigkeit assoziiert wird.

Was mögen Sie an Amália Rodrigues?

Sie hat eine unglaubliche Kraft, sie verkörpert eine Vitalität, die vom Überleben berichtet, vom Kampf. Amália Rodrigues war die Sängerin des Volkes, die Frau, die von den Nöten und Sorgen und Freuden der niederen Schichten zu berichten wusste.

Und wie ist Ihr Fado beschaffen?

Ich liebe keineswegs das In-sich-Gekehrte, sondern auch die Kraft der Seele, die in der Musik steckt. Aber ich möchte nicht anmaßend sein und weise jeden Vergleich mit ihr freundlich zurück: Amália kann man nicht übertreffen. Sie hat den Fado geprägt. Was meine Lieder anders macht? Das zu beurteilen, liegt nicht in meiner Macht. Ich bitte in meine Show wie in mein Wohnzimmer. Ich rede mit dem Publikum, übersetze, vermittle und zeige meinen roten Faden.

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