: Satte Mehrheiten, auch ohne Bier zu trinken
taz geht wählen – die Serie zur Bundestagswahl am 18. September. Die 64 nordrhein-westfälischen Direktwahlkreise im Porträt. Wer kämpft um das Mandat? Wer sind die Außenseiter? Wer gewinnt? Heute: Hamm – Unna II
Hamm – Unna II?Die Städtchen Lünen, Werne und Selm, nördlich von Dortmund gelegen und eben auch Hamm markierten vor Jahrzehnten die Grenze zwischen münsterländischer Kuhweide und der Schwerindustrie des Kohlenpotts. In nördlichen Stimmbezirken kam die CDU auf 55 Prozent, in südlichen die SPD. Heute wuchern sowohl auf den Industriebrachen als auch auf den Ackerflächen Baumärkte, Versicherungsbüros und Sonnenstudios. Strukturwandel nennt das die Politik. Wie wirkt sich das auf die Wahl aus? Vielleicht wählen die Kinder der Arbeiter und Bauern anders. Wer verteidigt den Wahlkreis?Wenn Bundesinnenminister Otto Schily Schutzhaft für verdächtige Islamisten, Lager zur Konzentration von afrikanischen Flüchtlingen oder Flakhelfer vor dem Berliner Reichstag fordert, dann spricht ein hagerer, besonnener Mann in irgend ein Mikro: „Das sollten wir doch noch einmal ausführlich diskutieren.“ Dieter Wiefelspütz (58), innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, ist ein Mann der differenzierten Töne. Ein ortsüblicher Sozi ist der gebürtige Lünener nicht. Dafür ist er zu intellektuell und trinkt kein Bier. Trotzdem wurde er bislang regelmäßig mit satter Mehrheit gewählt.Wer will den Wahlkreis?Kennt ihn noch jemand? Laurenz Meyer (57), Ex-Generalsekretär der CDU? Zum vergangenen Weihnachtsfest schenkte er seiner Partei einen netten Skandal. Nur wegen einer Tätigkeit als geringfügig Beschäftigter beim hiesigen Stromversorger musste er sowohl Parteiposten wie Nebenjob aufgeben. Dennoch hat er wieder einen sicheren Listenplatz bekommen. Zumindest auf seiner eigenen Homepage überragt er auf einem Foto um Haupteslänge die Vorsitzende Angela Merkel. Während er mit gestrecktem Arm zeigt, wo es lang geht, lächelt sie verwirrt in jene Ferne.Der große Außenseiter?Die FDP war bei der letzten Bundestagswahl mit 7,7 Prozent der Zweitstimmen drittstärkste Kraft. Kandidat der Liberalen ist Jörg van Essen. Der Oberstaatsanwalt a.D. setzt sich für den Schutz der Opfer von Straftaten ein. Auch sonst ist der bekennende Andy-Warhol-Fan nicht unbedingt FDP-Mainstream. Die Grünen haben Hans-Joachim Nadolski-Voigt als Kandidat aufgestellt. Der 50-jährige Sozialarbeiter aus Bergkamen ist BVB-Fan und könnte mit seinen Ansichten zu Hartz IV auch bei der Linken kandidieren. Die allerdings schicken schon Udo Gabriel, Sprecher der PDS-Kreistagsfraktion Unna, ins Rennen.Die taz-Prognose?Bei der Direktwahl wird Wiefelspütz siegen. So viel Bockmist kann die Sozialdemokratie gar nicht verzapfen, dass ein CDUler hier gewählt wird. Meyer könnte man eine Restlaufzeit von vier Jahren zubilligen, über die Landesliste. Dann aber sollte er sich stilllegen lassen. Vielleicht sollte er sich dann ein Häuschen kaufen, direkt neben dem verschrotteten Reaktor seines ehemaligen Arbeitgebers in Hamm-Uentrop.
LUTZ DEBUS