: Nicht nur schön, sondern auch nachhaltig
Öko-Möbel schonen die Umwelt und die Gesundheit ihrer Nutzer. Während manche Manufakturen edle, aber teure Einzelstücke aus Holz herstellen, setzen andere auf Re- oder Upcycling. In Workshops lässt sich auch lernen, wie man alte Möbel selbst wieder auf Vordermann bringen kann
Von Harff-Peter Schönherr
Unübersehbar ist sie, die Tischlerei „hochzwei“ in Georgsmarienhütte bei Osnabrück: Ein monumentaler Hobel ragt an ihrer efeubewachsenen Backsteinfassade auf, ein Werkzeug wie für Riesen. Dieser Hobel ist ein Statement, unübersehbar: ein skulpturales Bekenntnis zum klassischen Handwerk.
„Was bei uns entsteht“, sagt Tischlermeister Thomas Haunhorst, „sind die Antiquitäten von morgen!“ Mit einem kleinen Lächeln sagt er das zwar, aber er sagt es mit Nachdruck. Und nicht lange, dann fällt ein Wort, das Haunhorst häufig sagt: Leidenschaft. „Möbel wie diese baust du nicht nur fürs Geld. Die baust du, weil du auf sie stolz sein kannst“, sagt er.
Bei „hochzwei“ entstehen Öko-Möbel. Aus Massivholz, ohne Schadstoffe. Alles Unikate. 2016 haben Melanie Keil und Jörn Wallasch den Betrieb übernommen. Haunhorst, der ihn vor 35 Jahren gegründet hat, als „vermutlich erste Öko-Tischlerei Nordwestdeutschlands“, konzentriert sich seither, mit Blick auf ihre Werkbank-Halle, auf den Handel mit Naturbetten und Stühlen. Wer bei ihm zur Decke schaut, sieht genietete Stahlträger und spitzwinklige Oberlichter wie aus einer anderen Zeit: Das Gebäude ist von 1897, lange war es eine Stahlwerkszimmerei.
Jörn Wallasch sagt, zwischen Auftrennsäge und Leimpresse: „Industrieware ist Trendware, Massenfertigung in Standardmaßen, hergestellt mit möglichst geringem Aufwand. Ein paar Spanplatten, ein paar Dübel, fertig. Hält nicht lange, wird schnell weggeschmissen.“ Wallasch geht von Maschine zu Maschine, deutet, zeigt, erklärt: „Was wir bauen, ist langlebig. Und wir bauen es aus Überzeugung, nicht aus Marketingerwägungen. Wir bauen es, weil wir gutes Handwerk lieben, weil Nachhaltigkeit für uns wirklich wichtig ist, nicht nur ein Modewort.“
Öko-Möbel, Bio-Möbel: So groß die Nachfrage ist, so groß ist die Verunsicherung. Denn verbindliche Begriffsdefinitionen gibt es nicht. Und je mehr Zertifizierungen, je mehr Siegel es gibt, für das Holz, für den Leim, für die Lacke und Lasuren, desto ratloser ist der Kunde. Ist „ÖkoControl“ besser, von der „Gesellschaft für Qualitätsstandards ökologischer Einrichtungshäuser“? Oder doch eher das „Goldene M“ der „Deutschen Gütegemeinschaft Möbel“?
„Auch bei uns ist alles zertifiziert“, sagt Thomas Haunhorst. „Aber wer einen Anspruch hat wie wir, braucht eigentlich kein Siegel.“ Zum Beispiel beim Holz: Es stammt hauptsächlich aus Bad Iburg und Bad Rothenfelde, ein paar Kilometer von hier. „Wir können dem Kunden gewissermaßen den Baumstumpf zeigen, von dem es stammt“, sagt Jörn Wallasch. Auch ein Blick auf das Lager, von der Lärche bis zur Erle, und auf die gewaltigen Eichenbohlen davor, die ein Kunde selbst mitgebracht hat, verrät: Hier wird ausschließlich mit Massivholz gearbeitet. „Viele machen das nur kurz mal in ihrer Ausbildung“, sagt Wallasch. „Und später dann nie wieder.“ Nachwuchs zu finden ist daher nicht leicht: „Für den müssen wir schon selber sorgen.“ Drei Gesellen und ein Azubi arbeiten bei „hochzwei“. Gerade entsteht ein Waschtisch aus Kirsche, ein Bett aus Eiche. Das ist nicht ganz billig. Aber alles ist individuell gefertigt, nach Maß, und alles kann auch nach Jahrzehnten noch repariert werden.
Seine Kunden beschreibt Wallasch so: „Das sind Leute mit Anspruch, mit Konsequenz. Leute, die was wirklich Haltbares wollen, was wirklich Gesundes.“ Viele haben einen gut gefüllten Geldbeutel. „Aber oft sind es auch einfach Leute, die Prioritäten setzen: Lieber ein gutes Möbelstück als eine Kreuzfahrt.“
Wer will, kann seine Möbel in der Werkstatt besuchen, während sie entstehen. „Tischlerlohn ist, wenn ich sehe, dass der Kunde zufrieden ist“, sagt Wallasch. Und Haunhorst ergänzt: „Das ist wie der Applaus beim Künstler.“ Zu Keil und Wallasch kommen Leute, die nur einen Stiefelhalter wollen – andere hingegen brauchen ein ganzes innenarchitektonisches Konzept. Konferenz- und Kindergartentische entstehen hier, Wohnzimmerregale und Heizkörperverkleidungen. Und manchmal kommen Kunden nach Jahrzehnten wieder, und nach ein bisschen Aufarbeitung ist ihre alte Küche wie neu.
Trendbegriffe wie „Vintage-Style“ und „Shabby-Chic“ brauchen Keil, Wallasch und Haunhorst nicht. Re- und Upcycling sind bei ihnen Alltag, seit jeher. Der Hängeschrank in ihrem Sozialraum sieht nach Nachkriegszeit aus. Und der Tisch ist voll von Ebay-Kleinanzeigen. „Teak. Total günstig. Wenn wir mal so was reparieren müssen, ist das unser Materialvorrat. Kam aber noch nie vor“, sagt Wallasch.
Andreas Peters, Vorsitzender des Nabu Osnabrück und des Umweltforums Osnabrücker Land, gefällt vor allem das Upcyceln: „Das Nachhaltigste ist ja wirklich, erst gar keine neuen Möbel zu kaufen, sondern Altmöbel aufzuarbeiten, Möbel möglichst lange zu nutzen.“ Sein Küchenschrank, gebaut wie für die Ewigkeit, natürlich auch aus Massivholz, sei hundert Jahre alt. Aber Peters ist eine Ausnahme. „Gedanken über Material, Haltbarkeit und Produktionsbedingungen machen sich doch die wenigsten – die meisten kaufen irgendeine windig zusammengekloppte Pressspan-Scheiße, die beim ersten Umzug auseinanderfällt und dann auf dem Sperrmüll landet. Hauptsache billig.“
Oft fehle es Möbelkäufern an grundlegendstem Wissen sagt Peters. „Das fängt schon bei der Zertifizierung des Holzes an. Nehmen wir an, da klebt ein PEFC-Siegel drauf. Fein, sagen sich dann viele, dann wird’s ja wohl aus nachhaltiger Waldbewirtschaftung stammen.“ Das sei aber „natürlich Unsinn, das ist ja ein sehr aussageschwaches Siegel, viel schwächer noch als FSC, und selbst das ist nicht das Gelbe vom Ei.“ Deswegen hofft er auf eine „Abkehr von der Wegwerfgesellschaft“. Gerade Möbel seien dafür gut geeignet: „Sie haben ja kein eingebautes Verfallsdatum, anders als Elektrogeräte.“
Lacke ohne Lösungsmittel. Holz aus der Region. Polster aus Kokos oder Rosshaar, Naturlatex oder Schurwolle, Oberflächenbehandlung mit Wachs, mit Öl, Leim ohne Formaldehyd, keine Imprägnierungen und Beschichtungen: Auch die Tischlerei Altwittenbek aus Altwittenbek bei Kiel hat sich diesem Purismus verschrieben. Seit 1986 stellt sie individuelle Möbel für Kunden her, die „lebensbewusst sind“, wie Geschäftsführer Gerd Husemann es ausdrückt. Aufbruchstimmung sieht er im Öko-Möbel-Markt allerdings nicht: „Früher war das sogar mal besser. Zumindest bei uns.“
Sarah Schindelegger, vom Ökomöbel-Hersteller „[more]“ aus Hamburg, sieht das indes anders: „Nicht zuletzt durch die Klimakrise und die „Fridays for Future“-Bewegung ist ein Mentalitätswandel in Gang gekommen. Konsumenten sind sensibler für Ressourcen geworden, auch in der Möbelbranche.“ Die Wegwerfmentalität werde „gegen langlebige Qualität und Dauerhaftigkeit getauscht“. Seit 26 Jahren produziert „[more]“ individuelle „Möbel mit Haltung“. Vom Material bis zur Fertigung, von der Verpackung bis zum Transport: „Nachhaltigkeit ist ein Weg, den wir immer weiter gehen werden und auf dem jeder kleine Schritt wertvoll ist“, sagt Schindelegger.
Aber was ist mit jenen, die sich keine Maßanfertigung leisten und trotzdem nicht zum Möbeldiscounter wollen – auch nicht zum berühmten schwedischen? Jeder Flohmarkt ist voller Schätze, auch soziale Kaufhäuser wie der „Stöber-Treff“ des Hannoveraner „Werkstatt-Treff Mecklenheide“ sind gute Anlaufstellen. Preiswerter ist eine Wohnungseinrichtung kaum zu bekommen, vom Schlafzimmer bis zur Küche – und auch die Umwelt hat was davon.
Und natürlich lassen sich Möbel preiswert auch selbst bauen. Besonders grün: Recycling von Vorhandenem. Zugriff auf eine alte Kabelrolle? Abschleifen, anstreichen, fertig ist der Couchtisch. Zugriff auf acht neue Euro-Paletten? Abschleifen, anstreichen, zusammenschrauben, fertig ist das Doppelbett, zwei Nachtischchen inklusive. Oder man lässt recyceln, zum Beispiel von Dennis Schneltings und Carsten Trills „Lockengelöt“ aus Hamburg. Dort verwandeln sich Hafenfässer in Regale, Hausbars und Schränke. Ist dann aber auch gleich wieder ein bisschen teurer.
Für Selbstbastler ist natürlich der Baumarkt eine Option. Aber das bedeutet meist Abstriche bei der Öko-Bilanz, denn wer nicht mit Massivholz umgehen kann, dem bleibt nur die Spanplatte. Das ist zwar im Prinzip eine gute Resteverwertung, heißt aber auch: viel Bindemittel, womöglich Ausdünstung von Formaldehyd oder Phenolen. Geht natürlich dennoch, besonders, wenn der Blaue Engel draufklebt und es heimisches Holz ist, aus nachhaltiger Waldwirtschaft. Aber ideal ist das nicht.
Besser also, beim Selberbauen Recycling-Holz zu verwenden, dann müssen nicht so viele neue Bäume im Wald ihr Leben lassen. Oder man nimmt sich ein unansehnlich gewordenes Möbelstück und verschönert es wieder. Zum Beispiel bei Nadine Hartlage von „Schöngeist Dekoration“ in Osnabrück. Sie zeigt in kleinen Workshops, wie sich Möbel mit Kreidefarbe „retten“ lassen.
Und wer ganz auf Holz verzichten möchte, für den lohnt sich ein Blick auf ein Material, das, entsprechend verarbeitet, aussieht wie Holz: Pappe. Die Pappmöbel sind bezahlbar, leicht und recyclebar – und vielleicht der nächste große Trend auf dem Markt der nachhaltigen Inneneinrichtungen.
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