meinungsstark:
Reproduktion kolonialer Narrative?
„Kolonialismus beginnt im Kopf“, taz vom 1. 11. 19
Dass der Kolonialismus im Kopf beginnt und sich dort hartnäckig hält, beweist der Text leider selbst durch die Reproduktion kolonialer Narrative. So kann die Erwähnung der Lieblingsfarbe Célia Xakriabás – ein bei Erwachsenen eher unübliches Thema – als Infantilisierung der Aktivistin gelesen werden. Dieses diskursive Werkzeug spielte bekanntlich eine wichtige Rolle bei der Rechtfertigung der kolonialen Herrschaft über die angeblich unmündigen Bewohner*innen der kolonialisierten Gebiete. In der Erwähnung von Xakriabás Freude über die Berliner Straßenbahnen schließlich spiegelt sich das oft heraufbeschworene Staunen der Kolonisierten über die Wunder der westlichen „Zivilisation“.
Andreas Gutmann, Bremen
Verunsicherte Ost-Männer?
„Mann, oh Mann!“, taz vom 2. 11. 19
Viele Ost-Männer seien verunsichert in ihrer Männlichkeit und damit anfällig für AfD-Parolen, da sie durch die Wende oft ihren Arbeitsplatz – und damit ihre Rolle als Familienernährer und Alleinverdiener – verloren hätten, heißt es in diesem Artikel. Hallo? Waren nicht in der DDR fast alle Frauen voll erwerbstätig, nicht selten in sogenannten Männerberufen? Und verdienten eben nicht weniger als ihre männlichen Kollegen? Schließlich war die Gleichstellung der Geschlechter politisch gewollt. Also nichts von wegen Mann als Alleinverdiener! Das war stattdessen im Westen so, wo die Frau zu Hause blieb und allenfalls hinzuverdiente. Also, lieber bei den Fakten bleiben, anstatt in einer Vergangenheit zu schwelgen, die es so nicht gegeben hat. Kirsten Diercks, Norderstedt
Leuchtturm im Meer des Populismus
„taz gratuliert faz“, taz vom 1. 11. 19
Da stutzte der Leser, als die taz in ungewohnter Frakturschrift im Titel erschien, zu Ehren des 70. Geburtstags der FAZ. Bekanntermaßen liegen Welten in der Anschauung zwischen diesen beiden Medien. Wir leben in einer Welt, die zunehmend geprägt wird durch Populismus, wenig Toleranz gegenüber Andersdenkenden und zweifelhafter Informations- und Meinungsbildung durch soziale Medien. Diese Aktion der taz ist eine wunderbare Demonstration, dass andere Meinungen nicht bekämpft werden, sondern man sich in gegenseitigem Respekt begegnet. Denn selten hat nur eine Seite immer recht. Erst im gegenseitigen Zuhören, Tolerieren und Respektieren entsteht so etwas wie Vernunft.
Ich selbst bin bekennender FAZ-Leser, fühle mich aber dadurch inspiriert, auch wieder mehr die taz zu lesen. Glückwunsch, diese Aktion der taz war ein sehr positiver Leuchtturm in der Brandung des alltäglichen Populismus.
Klaus Petrasek, Adendorf
Wissensmangel im Westen
„Geistiges Kleingärtnertum“, taz vom 2./3. 11. 19
Die Linke im Westen bis 1989 wusste zu wenig über das Innenleben der DDR – ob über Betriebe, den Apparat, die Hausgemeinschaften oder die Schrebergartenkolonien – vielleicht abgesehen von einer Handvoll westdeutscher Sozialforscher. Wissensmangel und nicht nur kultureller Hochmut war ein Grund für die Abwehr unter vielen westdeutschen Linken. Im Neuen Forum fanden sich aber gewitzte und nachdenkliche Leute – gewitzt, weil viele sich im gesellschaftlichen Abseits hatten durchschlagen müssen, nachdenklich, weil sie selbst erst erkunden mussten, wie und in welcher Richtung die von ihnen gewollte Umwälzung verlaufen sollte. Es ging nicht darum, ihnen zu erzählen, wie es laufen soll, sondern sie mussten die Zeit gewinnen, auszuarbeiten, was sie selbst wollten. Wir hatten die Abwanderung in den Westen unterschätzt, Westler wie Ostler sahen dieses Land „ausbluten“ und wussten nicht, wie das schnell zu stoppen sei. Und wir Westler hatten nicht geahnt, wie groß die Mehrheit der DDR-BürgerInnen war, die kein Gerede wollte, sondern das westdeutsche Modell, aber dalli. Rainer Neef, Göttingen
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