Tim Caspar Boehme hört auf den Sound der Stadt:
Sind wir alle kaputt? Ist ja eine der Analysen zur gegenwärtigen Lage. Wobei es wohl ein Irrglaube ist zu meinen, die Leute hätten früher nicht unter den Verhältnissen gelitten. Zwei britische Veteranen jedenfalls der tönenden Kaputtheit, Kevin Martin (u. a. The Bug) und Justin K. Broadrick (u. a. JK Flesh) haben sich jetzt zusammengetan mit einer der markantesten Stimmen aus den USA gegen das Kaputte, der Dichterin und Musikerin Camar Ayewa alias Moor Mother, um dem allgemeinen Elend ein paar verdichtete Zeilen auf brummender Drone-Basis entgegenzuschleudern. Zonal nennt sich dieses Vorhaben, am Donnerstag schicken sie sich an, die Fundamente des Berghains zu erschüttern (Am Wriezener Bahnhof, 20 Uhr, 24,60 €).
Was definitiv nicht kaputt ist, ist dafür die Berliner Echtzeitmusik. Wobei „Berliner“ insofern irreführend ist, als es sich um eine sehr internationale Angelegenheit handelt. Wie man am Konzert von Sink am Sonnabend im KM28 gut nachvollziehen kann. Der Pianist Chris Abrahams, hier am DX7-Synthesizer, ist Australier, Schlagzeuger Marcello Busato kommt aus Italien, die Elektronikerin Andrea Ermke wurde in der Schweiz geboren und Gitarrist Arthur Rother stammt aus den Niederlanden. Improvisierend führen sie ihre recht unterschiedlichen Klangmaterialien dann nah zusammen (Karl-Marx-Str. 28, 20.30 Uhr).
Geschichte in Kreisform zelebriert die Reihe „Circle Line“, mit der das auf Alte Musik spezialisierte Ensemble lautten compagney Berlin seine ersten 35 Jahre am Sonnabend in der St.-Elisabeth-Kirche begeht. Eine Bewegungsrichtung, die Sinn ergibt: Denn das Programm „Renaissance meets Minimal Music“ stellt keine erzwungenen Zusammenhänge her, sondern will Parallelen aufzeigen. Die sollten in den Werken von Guillaume Dufay, John Cage, Philip Glass und Steve Reich strukturell allemal zu finden sein (Invalidenstr. 3, 19 Uhr, 23/10 €).
Last not least das Jazzfest Berlin. Das beginnt am Donnerstag, Ehrengast ist diesmal der Nestor des intellektuellen Avantgardejazz in den USA, Anthony Braxton. Wobei man vor dessen sich in seinem Schaffen manifestierenden Zerebrum keine Angst haben muss. Gelegentlich swingt es bei ihm sogar. Spätestens beim Abschlusskonzert am Sonntag im Haus der Berliner Festspiele kann man sich davon überzeugen, wo er seine „ZIM Music“ vorstellt. Das Berliner Kim Collective spielt eine multimediale „Fungus Opera“ und Marc Ribot, laut dem Musikkritiker Piero Scaruffi der nach Jimi Hendrix zweitbeste Gitarrist der Welt, kommt mit seinem neuen Quartett. Nicht schlecht für ein Konzert (Schaperstr. 24, 19 Uhr, 39-29/20 €).
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