: Fremdgehen durch die Welt
Die Ostberliner Avantgarde-Rockband „Der Expander des Fortschritts“ ließ sich aus der Kunstwelt inspirieren und schuf ironische, bisweilen surreal-fröhliche Soundcollagen. Jetzt tritt eine neue Formation bei der Experimentalmusikreihe „Biegungen“ auf
Von Stephanie Grimm
Als „verwirrte Verwirrer“ bezeichnete sich die Ost-Berliner Avantgarde-Band Der Expander des Fortschritts einst. Angesichts der verwirrten Zukunfts- und Vergangenheitsdiskurse, die derzeit mal wieder durch die gesellschaftlichen Resonanzräume schwirren, trifft die Band es mit ihrem brillanten Namen heute fast noch besser als damals. Aktiv waren Der Expander des Fortschritts seit 1986. Nach Mauerfall, als die Welt für viele in der DDR sozialisierte Menschen erst einmal noch verwirrender wurde, zerfiel das Projekt; Ende 1990 scheiterte der Versuch, zusammen als Four For Fortschritt weiterzuarbeiten. Doch nun gibt es eine Fortsetzung. Unter dem Arbeitstitel „Fortgesetzte Expedition“ geht der Expander auf Clubtour.
Anders als das Gros der sogenannten anderen Bands der späten achtziger Jahre, die in den Nischen der sich kulturpolitisch seinerzeit ein bisschen liberalisierenden DDR unterwegs waren, ließ sich der Expander nicht vom Wave, Punk oder Indie-Gitarrenpop inspirieren, sondern eher aus der Kunstwelt. Oder von den US-amerikanischen Residents, dem Künstlerkollektiv, das Mythenbildung sowie ihre Dekonstruktion über Jahrzehnte munter durchdekliniert hat. Auch Cassiber waren ein Einfluss. Die deutsch-britische Avantrock-Band ließen Jazz, Neue Musik, Punk und Rock aufeinander los, auf dass alle Zuschreibungen implodieren sollen, die die Genres mit sich brachten. Auf dem in Großbritannien beheimateten Label des Cassiber-Schlagzeugers Chris Cutler veröffentlichte der Expander dann noch vor Mauerfall, im Sommer 1989, sein Debütalbum. Mit „Urknall Horde Mensch“ und „Der Expander des Fortschritts“ zirkulierten da bereits zwei Tapes der Band im DDR-Underground.
In ihren Tracks brachten sie Zitate von Christoph Hein und Heiner Müller mit Friedrich Nietzsche zusammen, sampelten Vogelstimmen oder die Wasserstandsmeldungen der Binnenschifffahrt und machten daraus ironische, bisweilen surreal-fröhliche Soundcollagen. Da alle Bandmitglieder einen unterschiedlichen Background hatten, ergaben sich auch musikalisch produktive Reibungen.
Kennengelernt hatte sie sich am Fachbereich Kulturwissenschaften der Humboldt-Universität. Ihr ambitioniert-kunstaffiner Ansatz hielt ihnen bis zu einem gewissen Grad den Rücken frei, mehr zumindest als mancher subversiv gesinnten DDR-Band – obwohl es auch bei ihnen Repressalien von Staatsseite gab. Auch ein an die Stasi berichtender IM war in der Band, wie in wohl fast jedem (Underground-)Projekt.
Der Saxofonistin Susanne Binas-Preisendörfer geht es bei der Reunion auch um Geschichtsschreibung: „Die Strukturen der Institutionen sorgen heute dafür, dass ein bestimmter Kanon immer wieder reproduziert wird“, erklärt sie im Interview. Und fügt mit einem (am Telefon eher gefühlten) Augenzwinkern hinzu: „Wir versuchen, uns ein wenig in die Geschichte zurückzuschreiben.“ Neben Eckehard Binas ist sie die Einzige aus der Originalbesetzung der zuletzt fünfköpfigen Band. Zu Mario Persch, der damals die Texte schrieb, habe man „guten Kontakt“. Er sei gitarretechnisch jedoch aus der Übung.
Der Impetus hinter der Tour ist kein nostalgischer. Es geht dem Expander darum, die Geschichte weiterzuerzählen und ihr neue Facetten hinzuzufügen – etwa dadurch, dass Journalist Robert Mießner (der auch Autor der taz ist) die Performance durch einen Live-Kommentar ergänzen wird. Er hatte die Band als Teenager kennengelernt, über die legendäre Radiosendung „Parocktikum“ bei der Jugendwelle des DDR-Rundfunks DT64. 2018 untersuchte Mießner dann für den Sammelband „Material Müller“ (Verbrecher Verlag) die Rezeption Heiner Müllers in der Experimental- und Popmusik. Und landete dabei natürlich auch beim Expander. So kam es zum Kontakt zur Band, die seit 2017 sporadisch und anlassbezogen wieder aufgetreten war – etwa beim sogenannten Kehraus vor dem umstrittenen Abriss der Fachhochschule in Potsdam. Dort war Eckehard Binas von 2013 bis 2018 Direktor.
Musikalische Unterstützung für die neue Formation gibt es von Leo Binas, dem Sohn des einstigen Paars. Er hat Schlagzeug in den Niederlanden studiert und einige Musikerkollegen mit zur Band gebracht. Außerdem wird die Sängerin Safi dem Expander ihre Stimme leihen. Unter anderem ist sie sonst mit der Band Vögel, die Erde essen unterwegs. Binas-Preisendörfer freut sich, dass sie etwas mehr Härte in den Sound bringt.
Das Berliner Konzert wird im Club Ausland stattfinden, einer der letzten Bastionen des Randständigen im weitgehend durchgentrifizierten Prenzlauer Berg, der seinerzeit ja einer der zentralen Subkultur-Orte in der DDR war. In dem nischenorientierten Veranstaltungsort findet regelmäßig die Experimentalmusik-Reihe „Biegungen“ statt – bereits seit 2002, als der Club nach aufwändiger Schallisolierung wieder aufmachte. Ursprünglich initiiert hat die „Biegungen“ Gregor Hotz, der auch das Onlineportal Echtzeitmusik betreibt. Heute kümmert sich vor allem Mathias Machat um die Reihe und ist angetan, dass mit dem Expander „eine Band aus dem Geist eines abtrünnigen Avantgarde-Rock“ auftreten wird.
Hört man etwa ihren geisterhaften Titel „Fremdgehen Durchs Land“, stellt man fest: Atmosphärischer kann man die dieser Tage ja wieder ganz schön desorientierende Erfahrung des Nachrichtenhörens kaum auf den Punkt bringen als in diesem Stück. Nur müsste es heute vielleicht treffender heißen: „Fremdgehen Durch die Welt“.
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