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Attenberg Griechenland 2010, R: Athina Rachel Tsangari, D: Ariane Labed, Evangelia Randou / Originalfassung mit Untertiteln

Wenn Außerirdische einen Naturfilm über die Menschen machen würden, würde dieser vielleicht so ähnlich aussehen wie „Attenberg“. Die Kamera blickt auf die Menschen wie auf eine völlig fremde Spezies und deren Verhalten ist dann auch absurd und unnatürlich, als spürten sie den gänzlich andersartigen Blick auf sie. Diese Protagonisten sind keine Persönlichkeiten, sondern eher Archetypen: die junge Frau, der Vater, der erste Liebhaber, die beste Freundin. Und weil sie so radikal auf diese Funktionen reduziert werden, wirken ihre Handlungen so künstlich.

So lernt die 23-jährige Marina in der langen Anfangssequenz des Films von ihrer besten oder besser einzigen Freundin Bella das Küssen mit Zunge. Doch dies wirkt eher wie eine anatomische Demonstration als wie eine erotische Übung. Dass die Zunge der anderen Marina dabei an eine „Nacktschnecke“ erinnert, ist kein Zufall, denn sie scheint sich ihr bisheriges Leben lang nur um ihren Vater gekümmert und im Fernsehen Tierdokumentationen von Sir David Attenborough gesehen zu haben. Dessen Namen spricht die Freundin zwar falsch aus, dafür ist sie aber erfahren in allen körperlichen Dingen, während Marina zwar hoch gebildet, aber im praktischen Leben völlig ahnungslos ist.

Die griechische Filmemacherin Athina Rachel Tsangari hat in New York Performance Art studiert und entwickelte aus diesen Erfahrungen heraus einen Stil, bei dem sie auf Realismus und eine herkömmliche Dramaturgie völlig verzichtet. Die Darsteller bewegen sich zum Teil wie die Tiere, die sie in den ständig im Fernseher laufenden Naturdokumentationen sehen. In einigen Szenen laufen die beiden Frauen außerdem synchron einen Gartenweg auf und ab und machen dabei groteske Bewegungen, die an die „Silly Walks“ von Monty Python erinnern.

Der Reiz des Films liegt darin, dass er sich ständig in neue, unvorhersehbare Richtungen entwickelt. Angesiedelt in einer tristen griechischen Industriesiedlung, wo Marina als Taxifahrerin arbeitet, kann er ebenso zu einem kleinen, vom Vater gesprochenen Vortrag über die Gründe für die griechische Misere führen („Wir bauten Industrielandschaften auf Schafhütten“) wie zu einer Musiknummer, bei der Gesang der beiden Freundinnen in einem melancholischen Chanson von Francoise Hardy mündet. Nach dem Tod des Vaters bekommt der Film dann doch eine realistische, fast dokumentarische Ebene, auf der detailgenau gezeigt wird, wie schwer es für einen Griechen ist, eine Feuerbestattung zu bekommen. Da das Kremationen verboten ist, muss der Körper ins Ausland geflogen, dort verbrannt und dann wieder zurück geschickt werden. Tsangari macht dies zuerst in einem Gespräch Marinas mit einem Bestattungsunternehmer deutlich und zeigt dann auch noch die vorher beschriebene Prozedur. Auch vom Sterben erzählt Tsangari völlig unsentimental, sondern stattdessen mit einer ganz eigenen düsteren Poesie.

„Attenberg“ läuft Do bis Mi um 20 Uhr im City 46