: Tanz in Bewegung
ZEITGENÖSSISCHER TANZ Rund um urbanes Leben drehen sich die 13 Produktionen, die das Festival Tanztheater International in Hannover präsentiert. Erstmals gibt es dabei drei Uraufführungen junger Choreografen im Rahmen eines Künstlerresidenz-Programms
VON BEATE BARREIN
Sie stehen im Kreis, kommen zusammen, bahnen sich einen Weg, rempeln sich an, um aus dem Pulk wegzukommen. Dann fällt einer, eine andere hebt ihn auf, immer mehr fallen. Die zehn Tänzerinnen und Tänzer gehören zum Ensemble von Chikako Kaido. Großstadttypen, mit Tattoos, andere mit stylischen Bärten, manche die Haare zusammengezwirbelt. Andere eher unauffällig, durchscheinend, zart – wie die junge Choreografin Kaido selbst, die im Frühjahr gemeinsam mit Yaron Shamir und Philipp van der Heijden für eine Förderung im Rahmen des hannoverschen Festivals Tanztheater International ausgesucht worden ist.
„Es geht um das, woran die Gesellschaft krankt“, erklärt Kaido und ruft ihren Tänzern die Millionenmetropole Tokio vor Augen. „Arbeitsbedingungen wie hier sind selten oder gar nicht in Deutschland vorhanden. Wir bekommen professionelle Probenräume von der Staatsoper und die Unterkunft gestellt. Wir und die Tänzer erhalten Honorar. Und unsere Produktionen werden im Rahmen des Festivals uraufgeführt.“
Die 33-jährige Folkwang-Absolventin lächelt trotz der Anspannung der letzten Proben. „Was danach kommt, weiß ich nicht. Im September bin ich mit Produktionen in Japan und Korea unterwegs. Langfristig aber möchte ich einen thematischen Bogen zwischen meiner Heimat Japan und Deutschland spannen.“
Schon lange war die Leiterin des Festivals Christiane Winter auf der Suche, um junge Gruppen-Produktionen in Hannover fördern zu können. Aber erst für dieses Jahr hat sich die Beteiligung der Stiftung Niedersachsen, der Stiftung Kulturregion Hannover und der Stadt ergeben. Neben den 40.000 Euro Fördermitteln gibt das Ballett der Niedersächsischen Staatsoper Hannover und der Verein Tanz und Theater als Festival-Organisator noch einmal rund die Hälfte an Infrastruktur dazu. „Das Künstlerresidenz-Programm ‚Think Big‘ soll künstlerischen Input in die Stadt holen und vielleicht bleibt ja mal ein Choreograf hier“, hofft Winter, die mit einer Fortführung des Programms rechnet.
Fünf der insgesamt 13 Festival-Produktionen zeigen dieses Jahr den Einfluss des Hip-Hop auf den zeitgenössischen Tanz: Während in „28 Jahre in 28 Minuten“ Storm alias Niels Robitzky dabei selbstironisch auf sein Leben zurückblickt, kommt der Franzose Pierre Rigal mit seiner deutschen Erstaufführung „Standards“ eher sportlich daher. In Frankreich sei es typisch, sich immer wieder mit anderen Tanzrichtungen zu beschäftigten, erklärt Festivalleiterin Winter. „Monchichi“ vom Künstlerpaar Ramirez & Wang bringt dagegen eine kreative Fortführung des Hip-Hop in Verflechtung mit zeitgenössischem Tanz auf die Bühne.
Ganz entspannt sollten Tanztheater-Neulinge die Bilder, die durch die Tänzer, Worte oder Videosequenzen transportiert werden, auf sich wirken lassen, weiß Winter aus Erfahrung. „Sie sprechen eine unbewusste Ebene an und lassen viel Raum für Assoziationen.“ Ein Beispiel dafür ist die Eröffnungsproduktion „À Louer/For Rent“ der flämischen Kompanie Peeping Tom mit ihrem verstörenden Blick darauf, was alles im Leben zu mieten ist.
Ähnlich ist es mit dem Flamenco. Der ist inzwischen Weltkulturerbe und komme wie der Hip-Hop auch „aus dem Volk“, erklärt Festivalleiterin Winter ihre vielleicht zukunftsweisende Auswahl. In „La Edad de Oro“ verbindet Israel Galván spanische Folklore mit Streetdance-Moves. Das zeige, dass Tanz ständig in Bewegung ist, erklärt Winter. „Tanz muss seine Lebendigkeit erhalten und dazu gehören immer Veränderungen.“
■ Hannover: Do, 30. 8. bis Sa, 8. 9., Schauspielhaus, Ballhof Eins, Ballhof Zwei und Hochschule für Musik, Theater und Medien, www.tanztheater-international.de