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Es spukt wie verrückt

Manuel Muerte beschwört Geister und Ängste im Ballhaus Ost

Von Jenni Zylka

Er hat die Dialektik drauf: Der Geist, erklärt Hegel, wohne in der Plattensammlung. Schließlich seien das alles Schallplatten, für die man Begeisterung empfunden habe. Und in der Be-Geisterung kann man das Wort „Geist“ deutlich erkennen.

Der Philosoph besteht aus zwei Pingpongballaugen, die an zwei Fingern stecken. Die dazugehörige Performerinnen-Hand trägt einen weißen Umhang. Die Premiere von Manuel Muertes „Geister. Séancen für das 21. Jahrhundert“ im Ballhaus Ost eröffnet am Donnerstag ein schmales, in Weiß gekleidetes Medium. Entrückt starrt es ins Publikum, schreibt etwas auf Zettelchen, bindet sie an rote Wollfäden und hängt sie in Glasflaschen. In den Flaschen wohnen, natürlich, Geister. Später wird Manuel Muerte Menschen aus dem Publikum bitten, Fragen an diese Geister zu stellen. „Wie geht es meiner Oma?“, will einer wissen. Und der Geist, der antworten möchte, meldet sich eifrig – er bewegt einen Zettel in einer Flasche, die Geisterhand bringt ihn ohne äußeren Einfluss zum Schwingen! Muerte pult den Zettel heraus und liest die Antwort vor: „Hier drüben geht es ihr sehr gut!“ Das Medium hat also erstaunlich präzise Arbeit geleistet.

Magie und Geisterwesen hängen zusammen. In seiner öffentlichen Séance mixt der Zauberer Manuel Muerte formidable Tricks mit Spiritus (nicht Trinkspiritus!) zu einem rauchenden, blitzenden und Ektoplasma spuckenden magischen Cocktail. Gedanken werden gelesen (und bei Google wiedergefunden), Menschen werden allein per Telepathie berührt, Tische fliegen, und Elvira, die beste unsichtbare Freundin des Mediums, musiziert mit dem vierköpfigen Cast: Auf der singenden Säge, einer Heizung, einer Stahlfeder und einem Rohr interpretieren vier Menschen und ein Geist eine sirrende und summende Schauer­symphonie. (Das Medium ist übrigens Gina V. D’Orio, versierte Experimentalmusikerin der Band Cobra Killer.)

Dass Geister im 21. Jahrhundert aber vor allem aus gespenstischen Gedanken der Abgrenzung, des Fremdenhass, der Angst bestehen, zeigt das Ensemble in einer Mischung aus Gruppentherapie und Teufelskunst: Die Zu­schaue­r*in­nen schreiben ihre Ängste auf die mit Papier belegte Bühne. Die Performer*innen raffen das Papier danach zusammen, falzen es zu einer „Angstfigur“, einem mannshohen, weißen Wesen, das kurz darauf das Medium anfällt. Später liegt das Angstkonglomerat auf dem Boden – doch ihm entsteigen kleine weiße Einzelängste, schlechte Gedanken, die zunächst hinter einem Gazevorhang herumflattern und dabei von Verschwörungstheorien und Islamfeindlichkeit raunen, und als alle im Publikum sicher sind, sie hätten den Trick durchschaut, flattert einer der Gedanken plötzlich komplett autark durch den gesamten Raum und flüstert Gruseliges: Wie macht er das? Und wie kriegt man diese verdammten Geister, die am besten im Internet gedeihen, endlich ruhig?! Vielleicht sollte man es einfach mal mit einer soliden Austreibung versuchen.

„Geister“, Ballhaus Ost, 19. und 20. 10., 20 Uhr

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