: neokon ist noch lange nicht cool
Die Union ist immer noch eine Partei für Lifestyle-Verlierer. Ein Sumpf von quakenden Nörglern. Daran vermag auch eine Kanzlerkandidatin Angela Merkel nichts ändern. Vor allem ihr fehlen die Visionen
VON JAN FEDDERSEN
Das war gewiss wieder kein schöner Tag gestern in der Berliner Unionszentrale. Der Stern ließ seine demoskopischen Erhebungen zur Bundestagswahl vorab durchsickern – und wusste mitzuteilen, dass CDU/CSU abermals an Prozenten verloren habe. Nun weiß man an der Klingelhöferstraße so gut wie an der Kreuzberger Wilhelmstraße, wo die SPD ihre Bundeszentrale hat, dass Umfragen noch nichts bedeuten. Aber sie signalisieren immer etwas, sie deuten an, sie enthüllen Trends – und der jüngste ist nicht mehr mit der Union.
Was sich noch Ende Mai, nach des Kanzlers Erklärung, vorfristig Bundestagswahlen einberufen zu wollen, wie ein Spaziergang an die Macht der Angela Merkel ausnehmen konnte, ist nun ungewiss. Wie formulierte jüngst eine Kollegin der Welt: „Schröder fällt erst, wenn er gefallen ist.“ Sollte heißen: Man wird sehen, Merkel und die Ihren könnten sich noch sehr wundern. Aber Ralf Fücks, Chef der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung, wurde schon genauer, als er jüngst formulierte, Rot-Grün habe zwar keine politische mehr, aber noch eine kulturelle Mehrheit.
Aber muss die Union ein Befund aus dem ökologischen Thinktank kümmern? Nicht unbedingt. Böser aber noch klang, was der Politikchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, Thomas Schmid, gestern in einem Feuilleton im Deutschlandradio Kultur sprach: Hierzulande gebe es keine Wechselstimmung, und das habe vor allem mit der Union selbst zu tun, denn: „Nicht Visionen, sondern Bedenken sind ihre Sache“ – und „die Krise der Konservativen“ für längst nicht beendet erklärte. Und zwar in kultureller Hinsicht, in der gesellschaftlichen Dimension, dort, wo es nicht mehr um dröhnend-sämige Vorsätze vom Gusto „Vorfahrt für Arbeit“ geht, sondern um eine Idee, wie man sich eine quirlige, optimistische Gesellschaft vorstellt. Was eben zu der Frage führt, welche Vorstellung ihre Parteien von Gesellschaft haben. Was heißt für sie konservativ? Was meint Angela Merkel mit ihrem Loblied auf die Freiheit?
Meint sie mehr als die Freiheit des möglichst reibungsarmen Kapitalismus? Worauf ist die Union stolz, wenn sie selbstlobend davon spricht, das Grundgesetz miterdacht zu haben? Und worauf soll das T-Shirt anspielen, passend zum Wahlkampf auf dem Markt erhältlich, mit dem Konterfei ihrer Kandidatin, die Bildsprache Che Guevaras zitierend? Soll das Aufbruch anzeigen, Abenteuerlust oder einfach nur konzeptuelle Verwirrtheit? Das Moderne, das Trendige ist ja aktuell flankiert von einer Fülle von Dementis seitens der Union selbst. In Stuttgart muss sich ein prominenter Unionspolitiker mit der Frage behelligen lassen, warum er denn einen Ohrring trage; dortselbst war die Bildungsministerin Annette Schavan umstritten, weil sie im so genannten Verdacht stand, anders als die meisten Frauen zu sein, nämlich lesbisch.
In Nordrhein-Westfalen, kaum hatte dort die Union die Landesmacht übernommen, kassierte man im Schulministerium ein curriculares Lehrerbuch, EU-gefördert, in dem pädagogische Hilfen für den Unterricht zum Thema Sexualität gegeben wurde – und in dem Schwules nicht mehr als Sündenfall dargestellt wurde. Und, kein Wunder, die Achtsamkeit gegenüber gesellschaftlichen Projekten wie Frauenhäusern und -beratungsstellen lässt auch zu wünschen: Überall dort, wo die Union rot-grüne Erbschaften antrat, ist sie emsig dabei, zivilgesellschaftliche Einrichtungen nicht nur ökonomischen Kontrollen, sondern, fast wütend, einem Verdacht der Unwichtigkeit auszusetzen.
Und das hat rund um die Union schlechte, bekannte Tradition. Alles, was Deutschland friedlicher, pluraler, diverser, bunter und weniger obrigkeitsstaatlich machte, musste gegen sie, teilweise beinhart erkämpft werden. Möglicherweise sind heftig erstrittene Triumphe ohnehin von hartleibigerer Konsistenz. Was von der Union eben jetzt auch zur Kenntnis genommen wird: dass die Wählerschaft in ihrem Mainstream nicht zu mobilisieren ist gegen Ausländisches, gegen Nonheterosexuelles, gegen berufstätige Frauen, gegen Zivildienstleistende, gegen einen Schulunterricht, der auf Kooperation, nicht auf Kathederhaftigkeit setzt.
Es ist doch zu erinnern: Gegen die Union wurde der Abtreibungsparagraf entkriminalisiert; gegen die Konservativen wurde der antihomosexuelle Paragraf 175 gestrichen wie auch das Lebenspartnerschaftsgesetz etabliert; gegen die CDU/CSU wurde ein Gesetz erlassen, das das Elternrecht auf Züchtigung abschafft und im Gegenteil das Schlagen von Kindern unter Strafe stellt; ebenso sehr opponierte die Union gegen das Gesetz, das Vergewaltigung in der Ehe ahndet; nicht zu vergessen die Leidenschaft, mit der die Union ein liberales, nicht Blut-und-Boden-Kategorien folgendes Staatsbürgerschaftsrecht sabotierte.
Die Union ist immer noch eine Partei der Lifestyle-Verlierer. Trostlos jedoch: „Jetzt sieht es so aus, als sei der Lebensstil, für den Rot-Grün steht, in fast allen Milieus der Republik durchgesetzt, zumindest akzeptiert“, so der FAS-Kommentar Thomas Schmid in einer womöglich vorausschauenden Analyse jener Gründe, die die Union am 18. September kurz nach den ersten Prognosen enttäuscht sein lassen werden. Die Union: Sie hat wirklich keine Visionen, sie ist ein Sumpf von quakenden Nörglern, die in ihrer freundlich-grimmigen Variante aussehen wie der ZDF-Reporter und Fundamentalchrist Peter Hahne. „Schluss mit lustig!“ heißt sein Bestseller: Einem solchen Erfolg haftet, so Ijoma Mangold unfreundlich in der Süddeutschen Zeitung, „etwas Klemmihaftes, Unfreies und Unfrohes“ an. Angela Merkel und ihr Konservativismus – der ist nicht so gemütvoll wie das „pfälzische Gesamtkunstwerk“ namens Helmut Kohl, das Joschka Fischer in diesem Unionspolitiker schon in den frühen Achtzigern erkannte. Kohl, wenigstens, hat seine antiliberalen Pappenheimer (Gauweiler, Dregger) zugunsten von Rita Süssmuth und Heiner Geißler kleiner gehalten, als denen lieb war.
Ein Konservativismus, der ja dem Wortsinn nach sowohl vom Unbehagen an der Modernität der Lebensstile leben müsste wie von der Angst um den Verlust von Tradition, wäre dann modern, wenn er diese Furchtsamkeiten nicht mit Hass und Aversion moderieren würde. Konservativ wäre also, nicht die Bauern zu päppeln, sondern den Ökolandbau; Einwanderer nicht nur als Übel zu begreifen, sondern als willkommene Zuwanderer; die Homoehe nicht als Entwertung heterosexueller Privilegien zu verstehen, sondern als Realisierung dessen, was als Verantwortungsgemeinschaft zweier Menschen gesehen wird; Frauen, die berufstätig sein wollen, die Infrastrukturen zur Verfügung zu stellen, ihr nicht nur einen Mann zu wünschen, der sie versorgt; konservativ wäre, dann, in ihrem Sprachduktus, stolz auf ihr Land zu sein, weil es nicht mehr so eintönig und einfältig zugeht wie in den Fünfzigerjahren – sondern multikulturell.
Angela Merkel mag eine brillante Machttechnikerin sein, als Kandidatin der Konservativen scheitert sie auch an den Allüren ihrer eigenen Gefolgschaft: Die trauert offenkundig immer noch einer Gesellschaft hinterher, in der Takt und Ton sich noch auf Bratenrock und Volkslied buchstabierten. Eine Frau, so hieß es kürzlich süffisant in der SZ, die laut Selbstauskunft nur eine Beatles-Platte ihr Eigen nennt, aber wie in einer bizarren Promoshow Jahr für Jahr nach Bayreuth zu den Wagnerfestspielen pilgert, sei irgendwie suspekt.
Das mag ungerecht sein, triftig ist jedoch, dass die Union irgendwie dem Modernen am liberalen Deutschland immer nur mit spitzen Fingern zu begegnen scheint: die Selbstverständlichkeit westlicher Pop- und Volkskulturen inklusive. Ein Spaßbremse, diese Partei. Ein Ungetüm mühselig gebändigter Ressentiments: Es sehnt sich unter der Heizdecke der Machtgier nach Zeiten zurück, die die Mehrheit der Wählerschaft auf gar keinen Fall zurückwill.