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Archiv-Artikel

Markerschütternd und freudvoll

NERVENNAHRUNG Das Noise-Trio Nohome spielte am Mittwochabend zusammen mit F. M. Einheit im Radialsystem in fulminanter Manier sein Debütalbum ein

Die Erzeugung großen Geräuschs erfordert größte Intuition und Konzentration: Also bewegt sich Caspar Brötzmann fast schon vorsichtigen Schrittes, als würde er Terrain erkunden, an den hinteren Bühnenrand und richtet seine Gitarre abwechselnd gegen einen der beiden Verstärkertürme. Dabei entsteht ein hochfrequenter Klang gleich dem eines gigantischen Teekessels. Michael Wertmüller verzahnt am Schlagzeug tribalistische Rhythmen mit metallischem Swing. Marino Pliakas am kopflosen Bass wirkt, als fühle er im Zentrum des Sturms nichts als Ruhe und Sicherheit. Wie gelingt ihm das nur? Denn der Sturm besteht aus unzähligen sich überlagernden Geräuschen: Da ist tiefes Brummen, flackerndes Knistern und hypnotisches Pochen.

Nichts für einen Hund

Brötzmann, Wertmüller und Pliakas sind das Trio Nohome. Im Juli dieses Jahres setzten sie den markerschütternden und freudvollen Schlusspunkt des „A L’Arme!“-Festivals im Berliner Radialsystem. Am Mittwochabend ging es mit ihnen an gewohnter Stätte in die Verlängerung. Nohome waren in das Haus an der Spree gekommen, um vor Publikum ihr Debütalbum live einzuspielen. In einer Lautstärke, von der ein Kind in der Konzertpause meinte: „Das ist nichts für einen Hund.“ Der junge Noisefan konnte nicht ahnen, was danach geschehen sollte. Nohome hatten sich als Gast FM Einheit eingeladen. Und der ehemalige Stahlschlagzeuger der Einstürzenden Neubauten sollte dann die bis dahin nur bedrohlich von der Bühnendecke hängenden Metallspiralen und ein Blech bespielen. Oder besser bearbeiten: mit einer Bohrmaschine, einem Stahlstab und den bloßen Fäusten.

Welchen Namen gibt man dieser Musik? Und soll man es überhaupt? Das „A L’Arme!“-Festival, ausgerichtet von Louis Rastig, Sohn des Posaunisten Conny Bauer und der Malerin Ines Rastig, hat sich im weitesten Sinne dem freien Jazz verschrieben. Das heißt einem Jazz, dem Rock und Industrial nicht fremd sind. Nohome passen bestens in dieses Konzept: Caspar Brötzmann hat neben der Arbeit mit seiner Band Massaker mehrere Alben in freierer Spielweise veröffentlicht: Da wären „Last Home“, ein Duo mit seinem Vater Peter Brötzmann. In dessen Tentet spielte er „The März Combo“ mit ein.

In den Neunzigern konnte man Caspar Brötzmann mit FM Einheit im Berliner Tacheles hören; aus der Zusammenarbeit entstand das Album „Merry Christmas“. Einheit hingegen gelang unlängst der Brückenschlag zwischen Industrial und Krautrock: Auf „No Apologies“ , „Spielwiese 3“ (beide Klangbad) und „Live at Berghain“ (Playloud), alle drei gemeinsam mit Hans-Joachim Irmler (Faust). Michael Wertmüller und Marino Pliakas wiederum betreiben mit Peter Brötzmann das Trio Full Blast. Wertmüller trommelte früher für den Schweizer Jazzcore-Geheimtip Alboth!, Pliakas ist darüber hinaus beim geistesverwandten Steamboat Switzerland zu hören. Beseelte Geräuschmusik also, die gar nicht weh tut, sondern Nervennahrung ist. Bitte wiederkommen. Und zwar in Bälde. ROBERT MIESSNER