: DIW fordert Rente erst mit 70
Nur so könnten die Rentenkassen zahlungsfähig bleiben. Einnahmen weiter rückläufig
BERLIN taz ■ Die Debatte um die schwierige Zukunft der Rentenversicherung, die die Parteien nur allzu gern aus dem Wahlkampf heraushalten würden, erhält neue Nahrung. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Klaus F. Zimmermann, fordert eine rasche Anhebung des Renteneintrittsalters auf 70 Jahre. Nur so könnten die Rentenkassen zahlungsfähig bleiben. „Eigentlich wäre das Eintrittsalter 70 schon in zehn Jahren notwendig, aber dazu ist die Politik zu langsam“, sagte Zimmermann den Lübecker Nachrichten. Nach seiner Einschätzung wird 2015 der reguläre Beginn des Ruhestands bei 67 Jahren liegen, 2025 bei 70 Jahren.
Damit geht der DIW-Präsident weiter als viele andere Experten, darunter der Wirtschaftswissenschaftler Bert Rürup. Der Vorsitzende der Wirtschaftsweisen hält ebenfalls eine schrittweise Erhöhung des Renteneintrittsalters für notwendig – bis 67. Damit ließen sich die Kosten einer steigenden Rentenbezugsdauer durch eine längere Lebenserwartung „gerecht und beschäftigungsfreundlich“ verteilen.
Laut Rürup gibt es zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit nur wenig Alternativen: sinkende Renten etwa oder Beiträge, die um 0,6 bis 0,8 Prozentpunkte ansteigen.
Der Begriff Renteneintrittsalter bezeichnet das Lebensjahr, mit dem gesetzlich Rentenversicherte Anspruch auf die volle Rente haben. Derzeit liegt es bei 65 Jahren. Das Sozialministerium betonte, dass das tatsächliche Eintrittsalter 2004 auf 63,1 Jahre gestiegen sei.
Damit die Menschen wirklich länger arbeiten, müssen sich nach Ansicht des DIW-Präsidenten Zimmermann zahlreiche Rahmenbedingungen verändern. Der DIW-Präsident fordert niedrigere Tarifgehälter für Ältere und mehr Teilzeitarbeit. Um ein angemessenes Einkommen zu sichern und gleichzeitig die Rentenkassen zu schonen, könnte die Altersteilzeit mit einer vorgezogenen Teilrente kombiniert werden. Bedingung sei aber, dass der Arbeitnehmer dann auch über das normale Rentenalter hinaus Teilzeit arbeite.
Unterdessen wurde bekannt, dass die Einnahmen der Rentenkassen auch im Juli im Vergleich zum Vorjahr stark rückläufig sind. „Bei den Pflichtbeiträgen haben wir im Juli ein Minus von 1,55 Prozent“, sagte die Sprecherin des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR), Renate Thiemann.
„Richtig ist, dass wir gegenwärtig geringere Einnahmen haben als erwartet“, bestätigte auch eine Sprecherin von Sozialministerin Ulla Schmidt (SPD) – um gleich darauf ein Beruhigungsprogramm abzuspulen: Das Problem werde durch das Vorziehen von Bundesmitteln gelöst, die der Rentenversicherung ohnehin zustünden. Die pünktliche Auszahlung der Renten sei gesichert. Und die Rentenversicherung werde das Jahr mit einem Liquiditätsüberschuss abschließen und benötige nicht mehr Bundesmittel, als ohnehin vorgesehen seien.
Konkret heißt das: Im September muss die Bundesregierung einen Teil der ihrer Zuschüsse von gut 500 Millionen Euro vorziehen, um die Rentenkasse zu stabilisieren. Ende November dann muss der Bund mit einem Kredit von 400 Millionen Euro einspringen, damit der Beitragssatz bei 19,5 Prozent bleiben kann. Und für das kommende Jahr hat die Sozialministerin auch die neue Regierung erst einmal vom akuten Rentenproblem erlöst: Mit Zustimmung der Union wurde einfach der Zeitpunkt vorverlegt, zu dem die Arbeitgeber ihren Anteil der Rentenbeiträge überweisen. Dadurch müssen sie 2006 faktisch13-mal zahlen. An den strukturellen Problemen der gesetzlichen Rentenversicherung freilich ändert all das nichts.SABINE AM ORDE
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