Katrin Seddig
Fremd und befremdlich
: Jede Generation hat von sich gedacht: Wir sind moralisch recht weit oben angelangt

Foto: Lou Probsthayn

Katrin Seddig ist Schrift-stellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Das Dorf“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

Was ich eben erst erfahren habe: Der vierte Oktober ist der Welttierschutztag. Bis heute wusste ich nichts über diesen Tag, ich wusste nicht, dass er auf eine Forderung des Schriftstellers Heinrich Zimmermann aus dem Jahr 1924 zurückgeht (und ich hoffe, dass diese Information, die ich aus Wikipedia entnahm, korrekt ist). Ich wusste bis heute auch überhaupt nichts über den Schriftsteller Heinrich Zimmermann.

Tierschützer steht in Klammern hintern seinem Namen (Wikipedia), und dass er Chefredakteur der Zeitschrift Mensch und Hund gewesen sei und von den Faschisten in einem Konzentrationslager ermordet wurde. Dies weniger wegen seines Engagements für die Tiere als wegen seiner Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, die der deutsche Faschist auszurotten gedachte, denn er war Jude.

Menschen haben im Laufe der Jahrhunderte immer wieder unterschiedliche Ansichten darüber entwickelt, wer, ob Mensch, ob Tier, ruhigen Gewissens gequält und ermordet werden darf. Mal war das eine in Mode, mal das andere, und wenn wir denken, wir sind moralisch recht weit oben angelangt, dann möchte ich zu bedenken geben, dass das vermutlich jede Generation von Menschen von sich gedacht haben mag.

Adolf Hitler war ein großer Freund des Schäferhundes. Der letzte Kommandant von Treblinka, Kurt Franz, liebte seinen Mischlingshund Barry, den er, wenn ihm danach war, auf die Häftlinge gehetzt haben soll. All das war zu dieser Zeit gesellschaftlich akzeptiert. Heute möchten wir in unserem Land keine Häftlinge mehr hetzen, Menschen anderen Glaubens als wir dürfen immerhin am Leben bleiben und es würde immer noch von einer größeren Gruppe von Menschen verurteilt werden, wenn sie gefoltert oder auf dem Scheiterhaufen verbrannt würden, wie dies in den Zeiten der Inquisition noch ganz normal war.

Heute ist das Schlagen von Hunden in der gesellschaftlichen Empfindung eines der schlimmsten Verbrechen überhaupt. Auch Katzen und Pferde sollten am besten anständig behandelt werden, mit Schweinen oder Enten dagegen kann man dagegen so ziemlich alles anstellen, es erregt den durchschnittlichen Deutschen mehr, dass verbrecherische Tierschützer unter Missachtung von Recht und Ordnung in die Ställe einbrechen, um diese Vorgänge zu dokumentieren.

Wer heutzutage sich einen gekochten Hund auf den Teller legen würde, der dürfte dies nicht öffentlich kundtun, weil ein Mob ihn lynchen würde, beim ebenso intelligenten Schwein ist dieser Vorgang normal und wer dies anprangert, ein nervtötender Moralist, wenn nicht gar ein Gutmensch, was derzeit die schlimmste Beschimpfung hierzulande darstellt. Die Zustände in asiatischen Ländern, wo Hunde gegessen werden, erscheinen den meisten Deutschen barbarisch. Schwein isst man, Hund nicht.

Heute möchten wir in unserem Land keine Häftlinge mehr hetzen

Aber, was ich eigentlich erzählen will, weil es so rührend, grotesk und vor allem auch süß ist: In Osnabrück, vor dem Dom St. Peter, hat der Diakon der Domgemeinde, Carsten Lehmann, am diesjährigen Welttierschutztag, der übrigens an den Heiligen Franz von Assisi erinnert (und der war ebenso ein großer Freund der Tiere), die Tiere gesegnet. Nicht alle Tiere überhaupt, sondern die Tiere, die mit ihren Besitzern zu diesem Zweck angereist waren, als da wären Hunde, Katzen und eine Maus.

Was mag er gesagt haben? Ich segne dich, du kleine Maus? Es war natürlich niemand mit einem Schwein angereist, und ich frage mich schon, wie es wäre, wenn doch einer mit einem Schwein angekommen wäre, hätte der Diakon der Domgemeinde auch ein Schwein gesegnet? Ich denke, er hätte es schlecht ablehnen können, denn das Schwein gehört wohl eindeutig zur Gemeinschaft der Tiere. Und der Heilige Franz von Assisi fand, dass alle Geschöpfe Gottes des Menschen Brüder seien. Schweine nahm er nicht ausdrücklich aus. Ich habe jedenfalls nichts dazu finden können.