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taz gehört zum Leben

Auf der Geno-Versammlung 2019 stellte Prof. Bernd Blöbaum die Ergebnisse der neuen taz Leser:innenbefragung vor. Hier ein Überblick

Ein überaus beliebtes Produkt bei unseren Leser:innen – die gedruckte taz Fotos: Wolfgang Borrs (oben), Karsten Thielker (unten)

Von Bernd Blöbaum

Mir geht es so wie sicher vielen von Ihnen: die taz begleitet mich bereits eine ganze Weile (seit 1979) – und ich begleite die taz bereits eine ganze Weile. 1993, da stand Helmut Kohl noch fünf Jahre vor dem Ende seiner Amtszeit als Bundeskanzler und der Bundestrainer hieß Berti Vogts, ­haben wir die erste Leser:innenbefragung für die taz gemacht. Seitdem wurden immer wieder Abonnent:innen, später auch Nutzer:innen von taz.de, Wochen­endleser:in­nen, Menschen, die sich bei taz-zahl-ich beteiligen, und Mitglieder der taz Genossenschaft zu ihren Nutzungsgewohnheiten, Einstellungen und Bewertungen der vielfältigen Inhalte befragt.

Am Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Münster haben wir uns in meinem Arbeitsbereich in den vergangenen Jahren recht intensiv mit dem Projekt tageszeitung in Forschung und Lehre beschäftigt und nun im Juli 2019, zusammen mit Master­student:innen, die jüngste Befragung von taz Leser:innen durchgeführt. Vielen Dank an alle Teilnehmer:innen, die sich durch lange Fragebögen gearbeitet haben. Die Befragungsergebnisse beruhen auf 12.824 Antworten, die sich auf acht Teilbefragungen verteilen, was insgesamt eine recht solide Basis darstellt. Der Rücklauf von 20 bis gut 30 Prozent ist für diese Form der empirischen Sozialforschung eigentlich sensationell. Allein die überaus große Bereitschaft, sich 20 bis 30 oder mehr Minuten Zeit für die Antworten zu nehmen, ist schon ein Ausdruck von starker Verbundenheit und Wertschätzung.

Zentrum der Bewegung

Lassen Sie mich noch kurz erklären, warum ich die taz wissenschaftlich für ein spannendes Forschungsobjekt halte: Die taz ist neben der Bild die erfolgreichste Neugründung auf dem Tageszeitungsmarkt in Deutschland nach 1945.

Die taz ist sehr eng mit einem gesellschaftlichen Modernisierungsprozess in der Bundesrepublik verbunden, in dem das linksalternative Milieu mit sozialen Bewegungen und Projekten dafür gesorgt hat, dass eine intellektuelle Durchlüftung stattfand, dass Ideen von Selbstverwaltung, Partizipation, Selbstverwirklichung, Politisierung (auch des Privaten) im Alltag praktiziert wurden und sich kulturelle Praktiken und Lebensstile entwickelten, die sich deutlich vom bürgerlichen Stil der Nachkriegszeit abhoben.

Das Projekt taz, die tageszeitung ist einerseits der publizistische Ausdruck dieser Entwicklung, andererseits auch ein Treiber, indem mit der taz sichtbar gemacht wird, was es konkret bedeutet, Journalismus außerhalb oder vielleicht auch gegen den Mainstream zu machen.

Die taz wird das publizistische Zentrum der linksalternativen Bewegung. Sie ist Plattform für Initiativen und Anliegen. Als Projekt bringt die taz die wesentlichen strukturellen und inhaltlichen Merkmale der Bewegung zum Ausdruck: Selbstorganisation, Basisdemokratie, gegen den Mainstream gerichtet, Gegenöffentlichkeit. Die taz ist damit so etwas wie eine realisierte Utopie.

Alle Massenmedien stehen heute vor großen Herausforderungen: Die Digitalisierung erfordert, den Journalismus in die digitale Welt zu transformieren, und es ergibt sich die dringende Notwendigkeit, Erlösmodelle zu entwickeln, die es erlauben, professionell hergestellte journalistische Inhalte weiterhin zu produzieren und dafür ein Publikum zu gewinnen.

Leser:innen sehen in der taz ein Medium der Gegenöffentlichkeit mit einer Haltung, die nicht Mainstream ist

Dem Projekt taz ist es in den vergangenen 40 Jahren gelungen, nicht nur das nackte Überleben zu sichern, sondern viele Beispiele für zukunftsweisende Innovationen abzuliefern. Wenn man bedenkt, wie fragil viele alternative Projekte sind, kann man eigentlich nur beeindruckt sein, wie es die taz geschafft hat, nicht nur zu bestehen, sondern sich auch weiterzuentwickeln – und zwar ohne die mit dem Projekt verbundenen Grundideen über Bord zu werfen.

Die taz hat als erste Zeitung ihren Inhalt ins Netz gestellt. Sie hat mit der Genossenschaft schon früh eine Partizipationsform gefunden, die später in anderen Bereichen als Crowdfunding praktiziert wurde und wird. Auch taz-zahl-ich, das Beteiligungsmodell bei taz.de, ist ein Beispiel für eine kluge Strategie im Onlinejournalismus. Die Grundlage für den Erfolg des Mediums und Projekts taz ist die besondere, von Solidarität geprägte Beziehung zwischen taz und Publikum.

Nutzer:innen und Leser:innen sehen in der taz ein Medium der Gegenöffentlichkeit mit einer Haltung, die nicht Mainstream ist. 1993 stimmten 73 Prozent der Abonnent:innen der Aussage voll und ganz zu, „die taz informiert über anderswo Verschwiegenes“. 2006 lag dieser Wert bei 72 und 2019 bei 71 Prozent.

Ebenso konstant ist Zustimmung zur Aussage, die „taz ist ein Projekt, das ich aus Solidarität unterstütze“: 62 Prozent 1993 und 64 Prozent 2019. Die taz liefert aber nicht nur Inhalte, die anderswo so nicht zu lesen sind. Sie wird zudem geschätzt wegen ihrer Konzernunabhängigkeit (weit über 90 Prozent halten das für ein Merkmal, das ihre Wertschätzung ausmacht), ihrer Originalität und weil sie ein Beispiel für zivilgesellschaftliche Solidarität darstellt. Die positive Haltung gegenüber der taz drückt sich auch in Schulnoten aus: Durchschnittsnote 1,59 bei Print-Abonnenten, 1,67 bei taz am wochenende.

Wie kann professionell hergestellter, kuratierter journalistischer Inhalt in Zukunft Leser:innen erreichen? Wir nehmen hier wahrscheinlich an dem spannendsten Projekt teil, das sich in der deutschen Medienlandschaft hierzu auf den Weg gemacht hat, spezifische journalistische Leistungen vorwiegend digital verfügbar zu machen. Wir haben in der Befragung die Menschen mit dem Szenario konfrontiert: Angenommen, in zwei bis fünf Jahren würde die taz nicht mehr jeden Tag als gedruckte Zeitung zu Ihnen gelangen. Wie würden Sie darauf reagieren?

Attraktive Papierform

Hat’s noch schwer – die taz App

Die Antworten zeigen, dass diese Frage die Print-Abonnent:innen in Lager teilt. Drei Varianten weisen eine ähnliche Wahrscheinlichkeit auf: Man liest dann das ePaper bzw. die taz App, man liest nur noch die gedruckte Wochenendausgabe, oder man nutzt das Kombi-Abo aus ePaper/taz App und gedruckter Wochenendausgabe. Für ein Fünftel ist es sehr wahrscheinlich, dass sie das taz-Abo dann kündigen und zu einer gedruckten Zeitung wechseln. Die Vorstellung, die taz in einer App digital zu lesen, ist leicht altersabhängig. Jüngere Jahrgänge können sich das eher vorstellen.

Was macht die Zeitung in Papierform attraktiv für die Abonnent:innen? Hier sind es vor allem zwei Gründe, die hohe Zustimmung erreichen: „Eine Papierzeitung zu lesen, fühlt sich gut an“ (für 76 Prozent trifft dies voll und ganz zu); „eine gedruckte Zeitung gibt mehr Orientierung im Nachrichtenstrom als ein Blick auf den Bildschirm“ (64 Prozent volle Zustimmung).

Warum könnte eine taz als App attraktiv sein? Ein guter Teil der Print-Abon­nent:innen findet eine App überhaupt nicht attraktiv. Als positive Merkmale werden vor allem Umweltgründe (weniger Papierverbrauch, weniger Transportaufwand), schnelle Verfügbarkeit der taz und Vermeidung von Ärger bei der Zeitungszustellung markiert. Blickt man auf diejenigen, die schon eine digitale Version der taz (als ePaper oder App) beziehen, dann wird deutlich, dass in dieser Gruppe die Umweltgründe weit vor allen anderen als Argument genannt werden. Fast ebenso wichtig ist den Beziehern die Möglichkeit, zeitlich und örtlich unabhängig ihre taz rezipieren zu können.

taz und Publikum verstehen sich als Gemeinschaft. Diese Community schätzt über alle Abspielformen den taz-Journalismus, der wie das Projekt taz etwas Besonderes in der deutschen Medienlandschaft ist – originell und abseits eines Mainstreams sowie kompetent bei Themen, die Leser:innen und Nutzer:innen wichtig sind.

Bernd Blöbaum, Jahrgang 1957, ist Professor für Kommunikationswissenschaft am Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Münster. Seit 1993 befragt er in Kooperation mit der taz ihre Leser:innen. Er forscht unter anderem zu Medienvertrauen.