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Archiv-Artikel

Thomas Moser Böse Bahn

Die Bahn AG will ein Jahrhundert- und Milliardenprojekt wie S 21 stemmen. Dabei schafft sie noch nicht einmal, Züge fahren zu lassen, die Wasser für die Toiletten in den Tanks haben. Ein Erfahrungsbericht.

Es war ein heißer Ferientag, als ich in Siegen den Regionalexpress RE 9 nach Köln bestieg. Kurz nach der Abfahrt stellte ich zusammen mit anderen Fahrgästen fest, dass keine einzige Toilette im Zug benutzbar war. Wir waren durch den Zug gegangen und fanden doch nur abgeschlossene Klotüren mit angehefteten gelben Zetteln: „Unbenutzbar“. Ich wiederhole: Keine einzige funktionierte. Im Zug gab es keinen Schaffner.

Es war spätnachmittags, Feierabendverkehr, Urlaubsverkehr. Der Zug wurde voll und voller, je näher wir Köln kamen, sicher Hunderte von Reisenden. Der Regionalexpress Nr. 9 fährt bis Aachen. Das sind von Siegen exakt zwei Stunden und 35 Minuten, ohne Verspätung. Zweieinhalb Stunden Zugfahrt ohne die Möglichkeit, eine Toilette zu benutzen.

In Köln stieg ich aus und teilte im Hauptbahnhof das Problem einem Bahnverantwortlichen mit. Seine Reaktion: Da könne er auch nichts machen. Ich fragte ihn, ob er die Sache nicht wenigstens weitermelden wolle. Er meinte, O-Ton, das würde nichts nützen, seinen Chef würde das nicht interessieren. Ich solle doch an die Bahnabteilung Kundendialog schreiben, die extra dafür da sein.

Also schrieb ich einen Brief an besagte Abteilung und teilte den Sachverhalt mit. Jetzt, ein paar Wochen später, kam ein Anruf von dort. Sie hätten meine Reklamation überprüft, erklärte mir der Mann und könnten mir mitteilen, das sie stimmt. Vielleicht dachte er, dass ich ihm für diese Nachricht dankbar bin. Immerhin ist es eine Bestätigung. Es stimmt, wiederholte er, alle Toiletten seien unbenutzbar gewesen, kein Wasser, fünf Stück. Was die Anzahl mit dem Problem zu tun haben sollte, erschloss sich mir zwar nicht, trotzdem musste ich ihn korrigieren: „Mehr als fünf, vielleicht sieben“, sagte ich das Bild vor Augen, wie wir durch den Zug zogen und nach einer offenen Toilette suchten.

Der Zug, so der Bahnkundenbetreuer weiter, habe in Aachen nicht gewartet werden können, deshalb habe man ihn mit verschlossenen Toiletten eingesetzt. In Aachen nicht gewartet? Heißt das, er ist schon auf der Hinfahrt nach Siegen mit unbenutzbaren Toiletten gefahren? Ja, was hätten wir tun sollen, kam es zurück, den Zug ausfallen lassen? Der Mann vom Kundendialog sagte dann noch, es komme schon mal öfter vor, dass Züge eingesetzt werden, bei denen nur eine Toilette funktioniere. Die Rhetorik der Verantwortungslosigkeit folgt doch nur der Praxis der Verantwortungslosigkeit. So viel zum Stand der Dinge: Bahn AG, Unternehmen Zukunft, modernes Deutschland, drittes Jahrtausend.

Dass ein Zug mindestens einen halben Tag lang zwischen großen Städten hin- und herfährt, ohne Wasser für die Toiletten zu haben, verweist auf einen Standard wie in einem Entwicklungsland. Dass Verantwortliche der Bahn nichts dabei finden, lässt einen annehmen, dass mehr solcher Gruselzüge unterwegs sind. Und dass es offensichtlich kaum Beschwerden von Fahrgästen gibt, zeigt, dass das Publikum von diesem Verkehrsunternehmen nicht mehr viel erwartet. Schon gar nicht, dass es Missstände beseitigt.

Es vergeht kaum ein Tag, ohne dass in irgendeiner Zeitung Graffitizeichen vermeldet und als Vandalismustat gebrandmarkt werden. Die tagtäglichen Behinderungen, Belästigungen und Zerstörungen durch die Bahn erfahren keine entsprechende öffentliche Würdigung. Nicht benutzbare Toiletten – das könnte in die Kategorie „staatlicher Vandalismus“ fallen.

In den Zügen kleben kleine blaue Schilder der Bundespolizei. Darauf ruft sie die Bürger auf, Belästigungen und Beschädigungen zu melden, Hotline 08006888000. Bitte sehr! Ich melde hiermit die Beschädigung der Toiletten im RE 9 von Siegen nach Aachen und die damit einhergehende Belästigung der Reisenden durch die Bahn AG. Straftatbestand: Nötigung, vorsätzlich und im Wiederholungsfalle.