„Das führt zu Wachstumszwang“

REGIONALGELD I Zins und Zinseszins sorgen für einen stetigen Geldfluss von den Fleißigen zu den Reichen und sind eine unsichtbare Zerstörungsmaschine, sagt Margrit Kennedy, Deutschlands bekannteste Regionalgeld-Vordenkerin

In Deutschland sind 28 Regionalgelder im Umlauf. Sie können nicht nur die lokale Wirtschaft fördern, sondern klingen oft auch viel spannender als der Euro. In Postdam ist zum Beispiel die Havelblüte zu Hause und in Kassel die Bürgerblüte. In Stuttgart gibt es den Rössle. Mystisch geht es in Düsseldorf zu, hier wird Rheingold getauscht. Wortwitz zum Nachdenken bieten der Coinstatt und der Pauer. Ob sie nun Donau-, Elb- oder Lindentaler heißen – Regionalgelder erproben neue Geldumlaufsysteme im Kleinen. Bundesweit sind rund 67 RegioGeld-Initiativen aktiv. Eine Übersicht bietet die Internetseite des Dachverbandes.

Im Netz: www.regiogeld.de

INTERVIEW ULRIKE HERRMANN
UND UTE SCHEUB

taz: Frau Kennedy, wie viel Euro haben Sie gerade in Ihrem Portemonnaie?

Margrit Kennedy: Keine Ahnung. Das muss ich nachsehen. 90 Euro plus Kleingeld.

Und wie viele Regionalwährungen wie der Chiemgauer oder die Kirschblüten sind drin?

Ich habe sogar eine Kreditkarte vom Chiemgauer. Regionalgeld ist also kein Märchen. Es ist auf dem neuesten technischen Niveau.

Sie sind in Deutschland das bekannteste Gesicht einer Bewegung, die eine neue Geldordnung will. Wie viele Vorträge halten Sie pro Jahr?

Seit der Finanzkrise 2008 steigt das Interesse ständig. Jetzt ist es etwa ein Vortrag pro Woche. Dazu kommen noch viele Medieninterviews.

Wer lädt Sie ein?

Kirchliche Gruppen, Lehrer, Anthroposophen, Regionalgeldinitiativen, die Occupy-Bewegung, Studierende, Nichtregierungsorganisationen und Vollgeld-Initiativen. Auch die Linken und die Piraten interessieren sich für eine neue Geldordnung. Demnächst spreche ich vor einer Gruppe internationaler Managerinnen. Selbst Finanzberater interessieren sich für das Thema und erklären ihren Kunden, dass sie in reale Werte investieren müssen statt in spekulative Bankprodukte.

Sie sind Architektin und waren Professorin für ressourcensparendes Bauen. Warum haben Sie sich im Selbststudium ausgerechnet mit Geld befasst?

Ich war nicht nur Architektin. In den USA habe ich im Fach „öffentliche und internationale Angelegenheiten“ promoviert, dazu gehörten zahlreiche Prüfungen in Soziologie, Ökonomie, Systemanalyse und anderen sozialwissenschaftlichen Fächern.

Trotzdem: Wie sind Sie von der Architektur auf das Thema Geldordnung gekommen?

1982 habe ich bei der Internationalen Bauausstellung in Berlin ökologische Projekte geplant, und immer wurde mir gesagt: „Das rechnet sich nicht.“ Da habe ich den Zins und Zinseszins als eine unsichtbare Zerstörungsmaschine entdeckt, die die Realwirtschaft zu exponentiellem Wachstum zwingt. Denn jedes Projekt muss mindestens die Kreditzinsen erwirtschaften. Das war bei den meisten ökologischen Vorhaben nicht möglich und ist auch heute noch schwierig.

Es liegt doch nicht am Zins, dass viele Ökoprojekte nicht konkurrenzfähig sind. Die Umwelt darf immer noch gratis verschmutzt werden, also sind konventionelle Lösungen meistens billiger. Bei strengeren Umweltgesetzen würden auch Ökoprojekte rentabel. Warum muss man die ganze Geldordnung umstürzen?

Auch ich bin für strengere Umweltauflagen. Aber das reicht nicht. Bei einem Zinssatz von 6 Prozent, zum Beispiel, verdoppelt sich ein Vermögen in zwölf Jahren. Dies führt zu einem Wachstumszwang. Denn das eingesetzte Kapital muss die Kreditzinsen erbringen und darüber hinaus noch eine Rendite.

Die Explosion der Geldvermögen ließe sich sehr einfach verhindern, indem man von den Banken mehr Eigenkapital verlangt. Dann könnten sie nicht so viele Kredite vergeben, was zur letzten Finanzkrise geführt hat. Wieder die Frage: Warum muss man die ganze Geldordnung verändern?

Ich habe nicht gesagt, dass alles am Zins und Zinseszins hängt. Ich bin sehr dafür, den Banken mehr Eigenkapital vorzuschreiben. Aber dies würde den Prozess nur verlangsamen, das exponentielle Wachstum jedoch nicht aufhalten. Wollen Sie wissen, wie ich meine Theorie in einer Minute erkläre? Zum Beispiel einem Taxifahrer?

Ja bitte.

Wir haben ein Geldsystem, das nur ein Ziel hat: aus Geld mehr Geld zu machen. Ökologische, kulturelle oder soziale Ziele haben es daher sehr schwer, an Kredite zu kommen. Wir brauchen also ein Geldsystem ohne Wachstumszwang – und verschiedene ergänzende Währungen für solche Zwecke. Ein Mischwald ist auch stabiler als eine reine Fichtenschonung. Eine regionale Wirtschaft braucht eine regionale Währung.

Beim Regiogeld gibt es keine Zinsen. Aber Gewinne sind erlaubt?

Natürlich. Wenn ein Buchhändler den Chiemgauer akzeptiert, macht er beim Buchverkauf wie alle anderen Ladenbesitzer einen Profit.

Aber auch Gewinne können exponentiell wachsen. Warum konzentrieren Sie sich nur auf den Zins?

Weil der normale Gewinn einer natürlichen Sättigungsgrenze zustrebt. Irgendwann hat jeder einen Kühlschrank oder genügend Möbel.

Und dann wollen die Leute ein Eigenheim, zwei Autos und regelmäßige Fernreisen.

Trotzdem gibt es da eher Grenzen als beim Geld – weil man dafür arbeiten muss. Der Zins hingegen ist ein leistungsloses Einkommen, das beliebig gesteigert werden kann. Der Zins ist in allen Preisen versteckt, sodass es zu einer Umverteilung von unten nach oben kommt. Davon profitiert die Minderheit der Vermögenden, die höchstens 10 Prozent der Bevölkerung umfasst. Unser Geldsystem sorgt also für einen ständigen Geldfluss von den Fleißigen zu den Reichen.

Man könnte das Vermögen der Reichen stärker besteuern. Wäre das nicht viel einfacher?

Ich bin durchaus für höhere Vermögensteuern, aber sie sind kaum durchzusetzen. Die globalisierte Finanzwirtschaft und die internationalen Märkte haben sich als sehr viel mächtiger erwiesen als die nationale Politik. Das Publikum in meinen Vorträgen ist entsetzt, weil Banken Regierungen erpressen und die Märkte die Politik vor sich hertreiben. Mein Traum ist eine Ordnung ohne Verordnung. Eine Welt, in der man nicht ständig umverteilen muss, weil die Rahmenbedingungen ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung ermöglichen.

Haben Sie nicht Angst, dass Ihre Bewegung ohne Einfluss bleibt, weil sie sich auf das Maximalziel einer neuen Geldordnung versteift?

Die meisten Menschen glauben, dass sich Veränderungen nur herbeiführen lassen, wenn sich eine Mehrheit dafür einsetzt. Doch Studien zeigen: Wenn nur 10 Prozent der Bevölkerung etwas versteht und sich deshalb anders verhält, folgen die anderen nach.

Was aber auffällt: Der Zinseszins bewegt vor allem Leute, die nicht Volkswirtschaft studiert haben. Die meisten Ökonomen halten das Thema für uninteressant. Wie kommt das?

Wer das Fach Wirtschaft studieren will, muss den Zins und Zinseszins als Eingangsparadigma akzeptieren. In dieser Geldwelt sind ja vorwiegend Experten damit beschäftigt, den Gewinn von Investitionen zu berechnen. Wenn sie auf einmal den Zinseszins infrage stellen würden, könnten sie in dieser lukrativen Branche nicht mehr arbeiten. Fachleute profitieren am meisten von dem Chaos, das sie anrichten.

Also sind Sie eine Bewegung von Laien?

Nein. Im deutschsprachigen Raum gibt es etwa 50 Hochschullehrer, die sich offen für dieses Thema engagieren. Doch für Beschäftigte in der Finanzwirtschaft ist dies gefährlich. So hat ein Bankdirektor mein Buch gelesen, aber er stieß in seiner Bank auf erheblichen Widerstand und musste sie letztlich verlassen. Jetzt ist er unabhängiger Schuldnerberater und übernimmt Vorträge für mich.

Wird Ihnen das Thema manchmal zu viel?

Mir wäre viele Jahre lang nichts lieber gewesen, als dass mir jemand hätte nachweisen können, dass ich einen wirklichen Denkfehler begangen habe. Dann wäre ich zum ökologischen Bauen zurückgekehrt. Aber heute treiben so viele Laien und Experten dieses Thema voran, dass ich es viel spannender finde, neue Währungen zu entwerfen als neue Häuser.