: Hybris und Unterstellung
MACHT In ihrer Schmähschrift „Die Patin“ arbeitet sich Gertrud Höhler an Angela Merkel ab. Sie weiß, dass die Kanzlerin sie schlicht ignorieren wird. Umso verstörender ist ihre Wut
Angela Merkel macht alles falsch. Die Frau aus dem Osten, seit sieben Jahren Bundeskanzlerin, seit zwölf Jahren CDU-Vorsitzende, gibt für ihren Machterhalt den Konservativismus ihrer Partei preis. Um ihren „autoritären Sozialismus“ zu zementieren, räumt sie Störer aus dem Weg. Helmut Kohl war einer von ihnen, ein anderer Friedrich Merz. Ebenso Bundesbank-Chef Axel Weber. Alles fähige Männer und Verfechter des wahrhaften, westdeutsch geprägten Konservativismus. Meint jedenfalls Gertrud Höhler.
„Die Patin“ heißt das neue Buch der Publizistin, Untertitel: „Wie Angela Merkel Deutschland umbaut“. Gewidmet hat Frau Höhler ihr Werk „allen, die die Faust noch in der Tasche haben“.
Man kann das Thema als Hype abtun. Man kann aber auch bedauern, dass eine kluge Frau wie Höhler derart aggressiv und eitel auf Merkel eindrischt, dass ihre auch berechtigte Kritik am politischen Pragmatismus der Kanzlerin dahinter verschwindet.
Angela Merkel, schreibt Höhler, stehe gar nicht für ihre Partei. „Hohe Werte für die Kanzlerin stehen neben schwachen Zahlen für die CDU. Die Bürger wissen es also schon: Merkel und die CDU sind zwei verschiedene Welten“. Die ostdeutsche Physikerin habe sich eine Art Weltbild-Cocktail aus Diktaturprägung und Demokratieerfahrung gemixt. Sie sei eine Ostlerin ohne inneres Wertegerüst, die sich der neuen Freiheit bedient, um dieses Land in eine Euro-Diktatur zu führen. So kenne Merkel es aus der DDR.
Stilistisch pflegt Gertrud Höhler einen bildhaft wabernden Sprachstil. Angela Merkel erscheint nach 1990 an westdeutschen Gestaden als „mit allen Wassern der Unfreiheit Gewaschene“ aus einer „trüben Ostkulisse“. Die „Aufsteigerin im Kostüm des Landkindes“ wird zur „Karrieristin aus Anderland“. Schnell wird aus dem „ausgeschlafenen Mädchen“ eine „Leitwölfin“, „Täterin“, Vollstreckerin“, schließlich die „Windsbraut“, die die guten Werte hinfortfegt.
Aus jeder der 296 Seiten trieft die Missgunst gegenüber einer qua Herkunft doch eigentlich zu Deklassierenden. Merkels Kritiker, die Höhler mit ihrem Buch zum Aufstand gegen Merkel anzustiften hofft, werden wohl nach der Lektüre eher nicht die Faust aus der Tasche ziehen. Sondern sich peinlich berührt abwenden.
Zumindest Gertrud Höhler sieht mit dem „System M“ das „Abendrot der Freiheit gekommen“. In Deutschland, so ihr Fazit, „kann man seit der Einigung politisch an die Spitze rücken, wenn man als Asket an allen Vorhaben vorbeizieht, von denen sich die Mitspieler aus der alten Westwelt aufhalten lassen: Rechtsnormen und Verfassungswerte, Verträge und Wettbewerbsfreiheit, ehtische Standards und moralischer Grundkonsens.“ Werte, über die die „Tarnkappenträgerin“ Merkel nicht verfügt.
Man könnte sich ausmalen, wie Merkel das Buch vielleicht wahrnähme. Es wäre Wochenende, ihr Mann würde möglicherweise raten: Tu dir den Quatsch nicht an, Angela! – Ach, nur kurz, könnte sie entgegnen. Sie würde stumm blättern, das Buch beiseitelegen. Noch Minuten später, wenn sie das Gulasch umrührte, würde ein ungläubiges Lächeln ihre Lippen umspielen. ANJA MAIER
■ Gertrud Höhler: „Die Patin. Wie Angela Merkel Deutschland umbaut“. Orell Füssli, Zürich 2012, 296 S., 21,95 Euro