Ein Wiedersehen mit der bitteren Wucht

LIDOKINO 4 Michael Cimino, das verkannte Genie unter den New-Hollywood-Regisseuren, wird für seinen Spätwestern „Heaven’s Gate“ ausgezeichnet

Michael Cimino ist ein zierlicher alter Herr. Er trägt Jeans und ein kariertes Sakko. Seine Augen verbirgt er hinter einer Sonnenbrille. Wenn er spricht, klingt es ein wenig schleppend und fragil. „Berüchtigt zu sein“, sagt er, „macht kein Vergnügen. Es wird zu einer merkwürdigen Vollzeitbeschäftigung.“

Michael Cimino weiß, wovon er redet. Denn wenn es einen Regisseur aus den Zeiten von New Hollywood gibt, der berüchtigt war, dann ihn. Mit seinem zweiten Spielfilm „The Deer Hunter“ war er 1976 der Liebling der Kritiker, des Publikums und der Oscar-Akademie. Doch dann nahm er die Arbeit an dem Spätwestern „Heaven’s Gate“ auf, und von Anfang an lief die Produktion aus dem Ruder. 15 Millionen US-Dollar sollte der Film kosten, Cimino brauchte über 40 Millionen, das Studio United Artists steckte bereits vorher in Schwierigkeiten, kurz nach „Heaven’s Gate“ musste es aufgeben.

Einstellungen soll er 40- bis 50-mal wiederholt haben. Was Ausstattung, Kostüme und Statisten anging, sparte Cimino an nichts. Als er dem Studio schließlich eine mehr als fünfstündige Fassung präsentierte, war das Entsetzen groß, und ihm wurde der Schnitt aus der Hand genommen. Eine zweieinhalbstündige Fassung kam in die Kinos und floppte. Der Kritiker der New York Times, Vincent Canby, schrieb 1981: „ ‚Heaven’s Gate‘ scheitert so sehr, dass man glauben möchte, Herr Cimino habe seine Seele an den Teufel verkauft, um den Erfolg von ‚The Deer Hunter‘ zu erzielen. Und nun ist der Teufel gekommen, um seinen Tribut zu verlangen.“ Der Film sei so interessant wie eine vierstündige Führung durchs eigene Wohnzimmer.

Canby dürfte heute nicht mehr vielen Menschen ein Begriff sein, während Cimino am Donnerstag auf der Bühne der Sala Perla steht, um den Premio Persol für sein Oeuvre entgegenzunehmen. Alberto Barbera, der neue künstlerische Direktor der Mostra, preist ihn in den höchsten Tönen, Cimino kokettiert ein wenig: „Er“ – gemeint ist Barbera –, „redet so viel, dass ich vergesse, was ich sagen wollte.“ Im Anschluss an die Preisübergabe wird eine digital restaurierte Fassung von „Heaven’s Gate“ präsentiert. Das renommierte DVD-Label Criterion ist daran beteiligt, und auch Cimino selbst hat daran mitgewirkt, obwohl er, wie er sagt, dies zunächst nicht wollte: „Ich habe genug Ablehnung erfahren, ich wollte mir das nicht noch einmal antun.“ Nun aber gibt es den Film in einer Länge von 216 Minuten und in einer Farbpalette, von der Cimino, als er analog drehte, zwar träumte, die er aber mit der damals zur Verfügung stehenden Technik nicht erzielen konnte. Die Nachbearbeitung gibt ihm unter anderem die Möglichkeit, wunderbare Kontraste aus Herbsthimmelhellblau und Almwiesenhellgrün hervorzubringen. Beim Wiedersehen fragt man sich, was die Leute damals so gegen den Film aufbrachte. Sicher waren es nicht die großartigen Massenszenen, etwa das Rollschuhlaufen in einer Versammlungshalle oder eine schwindelerregende Schießerei.

Eher schon die bittere Wucht, mit der Cimino US-amerikanische Gründungsmythen zerschellen lässt. „Heaven’s Gate“ handelt ja vom perfiden Plan etablierter Viehzüchter im Wyoming des späten 19. Jahrhunderts, mittellose Einwanderer umzubringen – mit Deckung des Gesetzes. Die große Idee vom Land der Freien und Mutigen zerfällt dabei im Nu. Vielleicht lag Canby gar nicht so falsch mit der Wohnzimmermetapher. „Heaven’s Gate“ schaut sich das große Haus USA genau an und findet dabei viel Dreck. CRISTINA NORD