: Die olympische Behinderung
Heute starten die deutschen Leichtathletik-Meisterschaften der Behinderten – im Jahn-Stadion. Keine andere Berliner Arena ist behindertengerecht. Nicht einmal das frisch sanierte Olympiastadion
VON CHRISTO FÖRSTER
Das globale Fußball-Happening 2006 steht vor der Tür, 2009 kommen die Leichtathleten zur WM nach Berlin, und jetzt will Klaus Wowereit auch noch die Olympischen Spiele 2016. Die Hauptstadt und ihr Regierender Bürgermeister schmücken sich gerne mit großen Sportevents. Nur für die Paralympics gäbe es in Berlin keinen geeigneten Platz. Denn das frisch sanierte Olympiastadion ist für Sportler mit Handicap nicht geeignet. Dabei gehören die Festspiele der Behinderten längst zum olympischen Standardprogramm.
Ab heute gastieren zwar die besten deutschen und viele internationale Leichtathleten mit Behinderung in Berlin. Ihre Meisterschaft müssen sie allerdings im Friedrich-Ludwig-Jahn-Stadion austragen, der einzigen behindertengerechten Arena der Stadt. Dass sie im Jahn-Stadion überhaupt an den Start ihrer Disziplinen gelangen, ist einem Zufall gedankt. Mehrere Zugänge zum Innenraum des Stadions wurden eingeebnet – nicht für die Sportler, sondern für Reinigungsfahrzeuge. Wo früher Treppen standen, können nun also auch Rollstühle einfahren. Glück gehabt.
Für Ralf Otto ist die Auseinandersetzung mit solchen baulichen Feinheiten Alltagsgeschäft. Der Leiter der Abteilung Leichtathletik im Deutschen Behinderten-Sportverband und Organisator der Internationalen Deutschen Meisterschaften im Jahnstadion, stellt den Berliner Stadien in puncto „behindertengerechte Bauweise“ kein gutes Zeugnis aus. Das Mommsenstadion, das von der Zuschauerkapazität eigentlich besser für diese Internationalen Deutschen Meisterschaften geeignet gewesen wäre, werde den praktischen Ansprüchen der Rollstuhlfahrer ebenso wenig gerecht wie das Poststadion, sagt Otto. Auch beim gerade erst beendeten Umbau des Olympiastadions sei nicht richtig nachgedacht worden.
Martin Marquard, Behindertenbeauftragter des Landes Berlin, beschreibt das Olympiastadion vorsichtig als „nicht ideal“ für Behinderte. Die Erinnerungen an die Posse um die Rollstuhl fahrenden Zuschauer sind noch frisch: Als die denkmalgeschützte Riesenschüssel vor kurzem saniert wurde, da hatte man sie entweder vergessen oder ihre Bedürfnisse ignoriert. Ihr gewohnter Standort wurde jedenfalls für VIP-Logen hergerichtet und sie fanden sich mit ihren Rollstühlen mitten unter den nichtbehinderten Fans wieder, die ihnen jedes Mal die Sicht versperrten, wenn sie aufsprangen oder Fahnen schwenkten.
Der Berliner Behinderten-Sportverband klagte und erreichte, dass die Reihen vor den Rollstuhlfahrern vorerst leer bleiben. Nun beginnt die Olympiastadion Berlin GmbH, ihr liebstes Kind nach dem Umbau noch einmal umzubauen. Bis Oktober sollen 70 der 170 Rollstuhl-Plätze nachgerüstet sein. Dabei bleibt es dann erst mal. Für Sportler mit Handicap ändert sich nichts.
Die Olympiastadion Berlin GmbH sagt zwar, dass alle Einrichtungen bis hin zum Ermüdungsbecken schon jetzt barrierefrei zu erreichen seien. Sprecher Christoph Meyer räumt aber auch ein, dass ein Aufzug am Marathontor für Rollstuhlfahrer der einzige Zugang zum Innenraum sei. „Dadurch sind die Wege natürlich sehr lang“, so Meyer. Auf Anfrage der taz bestätigte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zwar die Behindertenfreundlichkeit des Olympiastadions. „Behindertengerecht“ im Sinne der Sportler sei es allerdings nicht.
Der Behindertenbeauftragte Marquard hofft, dass eine erneute Olympiabewerbung das schon bald ändern könnte. Bereits in den 90er-Jahren hätten die Behinderten sehr von dem Buhlen um die „Jahrtausendspiele“ profitiert. „Damals gab es erstaunliche Bemühungen, Berlin barrierefrei zu machen“, sagt Marquard. Das mache den Behinderten das Leben in der Hauptstadt noch heute einfacher. Marquard weiß genau: „Im Fall einer Bewerbung für 2016 müsste dann auch im Olympiastadion schnell was passieren.“