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Archiv-Artikel

Die Erregungskünstler

Edmund Stoiber patzt mal wieder im Wahlkampf, und der politische Gegner übertrifft sich in erregter Schadenfreude. Das mag unterhaltsam sein. Politisch ist es nicht, demokratisch schon gar nicht

VON JAN FEDDERSEN

Das müsste doch in der nächsten Legislatur, mit welcher Regierung auch immer, leicht zu realisieren sein: den Artikel des Grundgesetzes zur Meinungsfreiheit um ein allgemeines Aufwallungs- und Starkerregungsverbot gerade in Wahlkampfzeiten zu ergänzen.

Es hätte in diesen Tagen dazu geführt, dass einer wie Edmund Stoiber (CSU) nicht schon nach einem unglücklich herausgetröteten Satz als ostophob und überhaupt politisch nicht ganz bei Trost hingestellt werden kann. Stoibers Diktum nämlich, kolportiert in einem Bericht des Westallgäuer, lautete so: „Ich akzeptiere nicht, dass der Osten bestimmt, wer in Deutschland Kanzler wird. Die Frustrierten dürfen nicht über Deutschlands Zukunft bestimmen.“

Davon abgesehen, dass der bayerische Ministerpräsident, textexegetisch genommen, sich selbst als frustriert empfindet – und zu Recht, dieser 2002-Verlierer! –, auch davon unbenommen, dass der Satz nur einen kaum kaschierten Größenwahn zur Geltung bringt („Ich akzeptiere nicht!“ – na und?), steht doch fest, dass Stoiber völlig richtig liegt. Gysi und Lafontaine verkörpern eine Wahlformation der Enttäuschten, Beleidigten, Erniedrigten – und dies, im Falle des Saarländers, durchaus im Duktus des Rabiatpopulistischen. Weshalb sollte Stoiber das nicht sagen dürfen, ohne gleich als außerhalb jeder Satisfaktionsfähigkeit gegeißelt zu werden? Gilt für Stoiber die Meinungsfreiheit, selbst im Schroff-Stoßseufzerhaften, nicht?

Wowereit, Liebich, Roth und wie sie sonst noch wohlfeil alle heißen: In Wahrheit freuen sich doch alle bei Rot-Rot-Grün über diese herzhafte Sottise: Mensch, endlich der Stoff, aus dem sich Empörung schlagen lässt! Endlich was, womit sich ablenken lässt von den Problemen, die mit linksparteiischen oder rot-grünen Wunschzetteln offenkundig nicht gelöst werden können.

SPD-Parteichef Franz Müntefering hätte es besser nicht konzipieren können. Ein Stoiber, der glaubt, der Osten sei mit der PDS identisch und also die PDS mit dem Osten der Republik, macht eine Bemerkung, eine krude Mixtur aus rasselnder Wut und verhärmter Angst: Nun waren wir schon für die DDR-Übernahme – und dann sind die undankbar und wählen so, dass es der Union nichts nützt. Das war wie der Schluckauf eines Magenvergrimmten – und dem Münte die feine Bemerkung wert, da habe eine „beleidigte Leberwurst“ gesprochen.

Tatsächlich sind solche Pseudodebatten unpolitisch – und dienen Stimmungen, nicht dem, was sachlich zu erörtern wäre. Ein symbolischer Paragraf gegen absurde Erregungszustände in der parteipolitischen Debatte wäre hilfreich: Man verlöre etwas an Unterhaltungswert – aber Stoiber hätte dann auch weniger Anlass, sich als Opfer von Ost-Verschwörungen zu empfinden.