: „Die Iranpolitik der EU ist in der Sackgasse“
Die EU hat sich im Streit um die Atomanlagen in Iran in die konfrontative US-Strategie einspannen lassen. Jetzt muss sie die Initiative zurückgewinnen – und Iran deutlich machen, dass sie Teherans Sicherheitsbedürfnisse ernst nimmt
taz: Herr Massarrat, warum will Iran Atomwaffen?
Mohssen Massarrat: Ob die gesamte politische Elite Irans Atomwaffen will, ist offen. Aber es gibt eine Fraktion im militärischen Bereich,die seit längerem auf Irans Sicherheitsdilemma hinweist. Iran ist eine regionale Großmacht und fühlt sich zum einen bedroht durch Israels Atomwaffen. Zum zweiten sieht sich Iran seit den US-Kriegen in Afghanistan und Irak sowie der Errichtung permanenter US-Militärstützpunkte in zentralasiatischen Nachbarländern eingekreist von den USA.
Nun hat die IAEA festgestellt, dass Iran in den letzten 18 Jahren den Atomwaffensperrvertrag NPT verletzt hat. Macht das nicht sehr misstrauisch gegenüber Teheran?
Ja, durchaus. Teheran hat versucht, diese Verletzungen – darunter den Bau geheimer und unterirdischer Atomanlagen – zu rechtfertigen mit der Erfahrung, die Irak 1981 machte, als die israelische Luftwaffe den noch im Bau befindlichen irakischen Atomreaktor Osiek zerstörte. So nachvollziehbar diese Rechtfertigung sein mag – Iran hat gegen den NPT verstoßen.
Warum hat Teheran die Atomanlage Isfahan jetzt wieder in Betrieb genommen?
Das ist ja kein Verstoß gegen den NPT. Aber Teheran will der EU signalisieren, dass der Zeitraum für Verhandlungen vorbei ist. Das „Pariser Abkommen“ mit der EU vom November 2004 war befristet. Daher liegt auch kein „Bruch“ dieses Abkommens vor, wie die EU und auch die IAEA jetzt fälschlicherweise behauptet. Die iranische Führung hat stets deutlich gemacht, dass Verhandlungen für sie keine Frage von Jahren sind, sondern von Monaten. Doch die EU hat sich in diesen Verhandlungen nicht kompromissbereit gezeigt. Also gelten für Teheran wieder die Bedingungen aus der Zeit vor dem „Pariser Abkommen“.
Aber die EU hat Teheran nach eigener Darstellung doch ein „weitreichendes Kompromissangebot“ unterbreitet.
Davon kann überhaupt keine Rede sein. Denn die EU ist auf die zentrale Forderung Teherans nach Sicherheitsgarantien als Gegenleistung für einen Verzicht auf die Urananreicherung nicht eingegangen und hat das Sicherheitsdilemma Irans überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Die Angebote im wirtschaftspolitischen Bereich – wie eine Unterstützung des WTO-Beitritts Irans oder eine verstärkte technologische Zusammenarbeit – sind Selbstverständlichkeiten und keine Zugeständnisse.
Aber welche Zugeständnisse hätte die EU denn überhaupt machen können?
Eine glaubwürdige Sicherheitsgarantie für die Versorgung des Brennstoffkreislaufs, die allerdings ohne die USA nicht ginge. Und die USA haben wohlweislich da nicht mitgezogen und die EU auflaufen lassen. Im Oktober 2003 hatte die EU noch eine gewisse Eigenständigkeit bewiesen, als sie mit der „Teheraner Erklärung“ die Absicht der Bush-Regierung durchkreuzte, Iran vor den UN-Sicherheitsrat zu bringen. Doch inzwischen ist es den USA gelungen, den Verhandlungsansatz der EU in ihre Strategie zu integrieren. Und im Schlepptau der USA ist die EU in die Sackgasse geraten. Damit schlagen die USA zwei Fliegen mit einer Klappe: die EU ist aus dem Spiel – und mit Hilfe des moralischen Beistandes ebendieser EU können sie Iran demnächst vielleicht vor den Sicherheitsrat zerren. Kissinger hat das deutlich gesagt: „Man muss mit Iran verhandeln, das müssen wir aber Europäer machen lassen.“
Welche Alternative gäbe es denn zu der gescheiterten Politik der letzten Monate?
Die EU muss aus der Sackgasse ihrer Iranpolitik heraus. Es bedarf dringend einer Initiative der EU, die nach allen Seiten neue Bewegungsspielräume schafft und Iran zeigt, dass sein Sicherheitsdilemma ernst genommen wird. Die EU sollte den Vorschlag für eine regionale Sicherheitskonferenz unterbreiten nach dem Muster der KSZE/OSZE. Erstes Ziel einer solchen Konferenz, zu der alle Staaten des Nahen und Mittleren Ostens – inklusive Israel – eingeladen werden sollten, wäre die Schaffung einer Zone frei von atomaren, chemischen oder biologischen Massenvernichtungswaffen. Diese Perspektive gäbe Teheran die Möglichkeit zum weiteren Verzicht auf die Urananreicherung.
Und wenn Israel an dieser Konferenz nicht teilnimmt?
Das wäre kein Grund, sie nicht zu veranstalten. Es geht nicht nur um eine kurze Konferenz, sondern um einen längeren Prozess. Auch bei der KSZE haben nicht von Beginn an alle europäischen Staaten mitgemacht. Ein derartiger Prozess könnte auch die politischen Kräfte in Israel stärken, die die Atombewaffnung ihres Landes für falsch halten.
Und wenn die USA „Nein“ sagen zu einer solchen Konferenz?
Es geht um eine kohärente, nachhaltige Politik der EU mit dem Ziel der Entwicklung stabiler Sicherheitsstrukturen im Nahen und Mittleren Osten auf möglichst geringem militärischen Niveau. Eine Politik, die nicht gleich aufgegeben wird. weil Washington dagegen ist. Im Übrigen gibt es auch in den USA ernst zu nehmende Personen – z. B. Zbgniew Brzezinski, der Exberater von Jimmy Carter – die die Entwicklung derartiger regionaler Sicherheitsstrukturen im Nahen und Mittleren Osten befürworten.
INTERVIEW: ANDREAS ZUMACH