Der Musterschüler

In der 4. Minute des gestrigen Nordderbys Werder Bremen gegen den HSV gab es eine Szene mit reichlich Anschauungsmaterial für die Trainerausbildung. Nach einer mustergültigen Flanke von Marko Arnautovic schraubte Werders Sturmspitze Nils Petersen sich schulbuchmäßig nach oben und gab dem Kopfball so viel Wucht und Präzision mit auf den Weg, dass er genau in den Torwinkel gepasst hätte – wenn HSV-Torwart Renée Adler ihn nicht mit den Fingerspitzen gerade noch an die Latte gelenkt hätte.

Nach dem Spiel wollte ein Reporter von Petersen wissen, ob es nicht ein besonderer Druck für ihn gewesen sei, so früh im Spiel eine Großchance nicht genutzt zu haben – zumal er ja schon bei der Pokalniederlage in Münster zwei Möglichkeiten versiebt habe. Eine Frage, auf die manch anderer zurückgeraunzt hätte: „Was willst du Alter, hab’ ich noch getroffen oder was?“ Aber Nils Petersen ist ein höflicher Mensch und sagte: „Ich habe für das Team gekämpft, und dann bekommst du eben später auch so einen Zauberball wie von Aaron aufgelegt.“

Denn die zweite Chance im Spiel, auf die er über eine Stunde warten musste, hat Petersen verwandelt. Wieder wie im Lehrbuch, wartete er nach dem Steilpass von Aaron Hunt, bis Renée Adler sich vor ihm breit gemacht und genau die Lücke zwischen seinen Beinen aufgemacht hatte, die ein guter Stürmer nutzt.

Neben den kantigen, unorthodoxen Spielern im Werder-Team wirkt Nils Petersen wie ein braver Musterschüler. Er ist der beste Beweis für die gute Grundausbildung, die junge Fußballer in den Vereinen der neuen Bundesländer immer noch genießen. Bei ihm hießen die Stationen Wernigerode, wo er aufwuchs, Halberstadt, Jena und Cottbus.

In der Saison 2008 / 2009 gab er beim 3:0-Sieg im Heimspiel der Cottbuser gegen Bayer Leverkusen sein Debüt, nach dem Abstieg in der Saison 2010 / 2011 wurde er Torschützenkönig der 2. Bundesliga. Beim FC Bayern München, der ihn daraufhin verpflichtete, fristete er zuletzt ein Reservistendasein, was sich nach den Verpflichtungen von Mario Mandzukic und Claudio Pizarro kaum geändert hätte. So ergab sich für Werder die Möglichkeit, Petersen trotz klammer Kasse für ein Jahr als Pizarro-Nachfolger auszuleihen.

In Bremen hat er mit dem Nachwuchsmann Niklas Füllkrug und der Last-Minute-Verpflichtung Joseph Akpala zwar auch Konkurrenz – mit Leistungen wie beim Nordderby steht sein Stammplatz aber nicht in Frage. Einziger Wermutstropfen: Je mehr Tore Petersen schießt, umso wahrscheinlicher ist es, dass die Bayern ihn am Ende der Saison wieder nach München beordern.  RALF LORENZEN

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