: Regierung weiß nichts von einem Massaker
VENEZUELA Augenzeugenberichten zufolge sollen am 27. Juli Angehörige des Volkes der Yanomami von illegalen Goldsuchern aus Brasilien getötet worden sein. Caracas richtet Untersuchungskommission ein
Ministerin Nilcia Maldonado
BUENOS AIRES taz | Venezuelas Regierung hat ein Massaker an Angehörigen des Volkes der Yanomami dementiert. „Es wurden keine Beweise für auch nur einen einzigen Toten gefunden“, sagte Venezuelas Ministerin für indigene Völker, Nilcia Maldonado, am Samstag. Auch seien keine Überreste von einem verbrannten Gemeinschaftshaus der Yanomami an dem mutmaßlichen Ort des Geschehens entdeckt worden, so Maldonado. Die betroffenen Yanomami-Gemeinschaften haben ihr Bedauern ausgedrückt, dass ihr Volk für einen derartigen Skandal missbraucht wurden sei.
Am 27. Juli hatte die Indigena-Organisation Horonami Yanomami (HOY) die in Puerto Ayacucho, der Hauptstadt des Bundesstaats Amazonas, stationierte 52. Brigade der venezolanischen Armee darüber informiert, dass die Yanomami-Gemeinschaft in Irotatheri Anfang Juli von Garimpeiros, illegalen Goldsuchern aus Brasilien, angegriffen worden sei. Irotatheri liegt im südlichen Bundesstaat Amazonas an der Grenze zu Brasilien. HOY beruft sich auf Berichte von drei überlebenden Angehörigen der Gemeinschaft, die auf der Jagd waren und Schüsse, Explosionen und die Landung eines Hubschraubers gehört hätten. Und auf die Berichte einer Gruppe aus einer Nachbargemeinschaft, die zu Besuch nach Irotatheri gekommen war und das verbrannten Rundhaus und verkohlte Leichen gesehen haben will. Wie viele Tote es gewesen seien, sei jedoch nicht bekannt. Die Gemeinschaft in Irotatheri umfasst rund 80 Yanomami.
Dass die Berichte ernst zu nehmen sind, beweist ein ähnlicher Fall von 1993. Damals waren 16 Yanomami ebenfalls im Grenzgebiet zu Brasilien von Garimpeiros ermordet worden. Fünf der damals 24 in die Morde verwickelten Goldsucher wurden zu Haftstrafen verurteilt. All das schilderte HOY erneut in der am 27. August bei der Staatsanwaltschaft in Puerto Ayacucho erstatteten Anzeige und forderte eine Untersuchung der jüngsten mutmaßlichen Morde.
Der Fall sorgte vergangene Woche für Schlagzeilen, nachdem die Organisation Survival International darüber berichtet hatte. Survival International stützt sich im Wesentlichen auf die Anzeige von HoronamiYanomami (assets.survivalinternational.org/documents/791/venezuela.pdf). Das scheint Venezuelas Behörden auf Trab gebracht zu haben. Eilends wurde eine Untersuchungskommission aus Vertretern der Generalstaatsanwaltschaft, der Streitkräfte sowie verschiedener Ministerien eingesetzt, die noch am Wochenende in den amazonischen Urwald aufbrach.
Am Freitag hatte Innen- und Justizminister Tarik al-Aissami erklärt, man habe mit sieben von neun Yanomami-Gemeinschaften in der Region Kontakt aufgenommen. Keine habe gewalttätige Vorfälle bestätigen können. Auch Verteidigungsminister Henry Rangel meldete Zweifel an: „Das mutmaßliche Massaker ist nicht bestätigt, und es könnte sich um eine Verwechslung handeln.“ Damit nicht genug. „Im Falle einer Falschmeldung werden gegen die für die Verbreitung der Informationen Verantwortlichen rechtliche Schritte unternommen“, sagte er.
HOY-Exekutivdirektor Luis Ahiwei Shatiwe hatte daraufhin gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur AVN versichert, dass niemand von ihnen in Irotatheri gewesen sei. „Wir geben Aussagen von Leuten weiter, die sich auf dritte Personen berufen. Das ist unsere Form der Kommunikation im Urwald.“ Als Institution, „von der wir die größte Unterstützung erhalten haben“, lobte er die Fuerza Armada Nacional Bolivariana (FANB). Diese habe Gesundheitsversorgung und Lebensmittel bis in die unzugänglichsten Gemeinschaften gebrach. JÜRGEN VOGT