Nicht das Wort Gottes

Ibn Warraq rechnet zornig und gelehrt mit dem Islam ab, den er als Abfolge von Knechtung, Mord und Gräueltaten darstellt

Jedes moderne Einführungswerk in den Islam beginnt fast unweigerlich mit einem Lobgesang auf ein Volk, das in einer unglaublich kurzen Zeit die halbe zivilisierte Welt eroberte. „Man kann sich“, meint Ibn Warraq dazu lakonisch, „schwerlich vorstellen, dass sich ein zeitgenössischer britischer Historiker ähnliche Eulogien über das British Empire leisten könnte.“

Beim Islam werden andere Maßstäbe angelegt. Der wird noch immer, wohl wegen des schlechten Gewissens des weißen Mannes, mit Glacéhandschuhen angefasst. Ibn Warraq bringt das fast aus der Contenance. „Warum ich kein Muslim bin“ ist ein gelehrtes, aber auch ein erstaunliches Buch. Mehr: ein Wutanfall. Die Rushdie-Affäre drängte den Autor dazu, dieses Buch 1995 zu schreiben. Jetzt wurde es übersetzt – und seine Botschaft scheint heute wieder aktuell: Schluss mit der falschen Toleranz.

Dennoch unterscheidet eines diese Abrechnung auf dramatische und sensationelle Weise von den vielen antimuslimischen Pamphleten, die dieser Tage den Büchermarkt verstopfen: Es ist die Abrechnung eines Muslim – und hat daher auch viel von der Maßlosigkeit, der Unduldsamkeit, die dem Häretiker oft eigen ist.

„Dieses Buch ist in erster Linie ein Ausdruck meines Rechts, jeden beliebigen Aspekt des Islams zu kritisieren, sogar zu verlästern, zu verspotten, satirisch zu verzerren wie auch zu irren“, schreibt der Autor, der sich nach einem Aufklärer der muslimischen Frühzeit Ibn Warraq nennt. Der Autor ist in Indien geboren, in Pakistan aufgewachsen und lebt, wie es heißt, heute in den USA. Auf seiner Anonymität besteht er mit gutem Grund: Sein Buch hätte ihm andernfalls bestimmt eine Fatwa eingetragen, Todesurteil inklusive.

Auf 500 Seiten mit mehr als 700 Fußnoten betreibt Ibn Warraq fundamentale Religionskritik. Er beweist, dass der Koran nicht das Wort Gottes sein kann, das dem Propheten durch den Erzengel mitgeteilt wurde: zu viele Widersprüche, zu viel Mischmasch, radikaler Monotheismus da, faule Kompromisse mit dem Aberglauben dort, Predigten zur Toleranz in frühen Suren, Aufrufe zu Töten, Enthaupten, Verstümmeln in Mohammeds „reifer“ Periode. Die Koransuren wurden eklektizistisch zusammengefügt, und von der zweiten Säule der autoritativen Schriften des Islams, den Hadithen, ist wohl kaum eine Überlieferung von Aussprüchen und Handlungen des Propheten authentisch.

Dennoch ist der Koran für gläubige Muslime nicht einfach eine heilige Schrift, sondern er hat einen Status, wie ihn die Bibel für die rechtgläubigsten Juden und Christen nie hatte.

Nur: Was lehrt, fordert, rechtfertigt der Islam aber?, fragt Warraq. Polygamie, Sklaverei, Beschneidung, rituelle Waschung, um die Betenden vom Einfluss böser Geister zu befreien, Furcht vor Dämonen, Gräuel und Unduldsamkeit gegen Andersgläubige, Befolgung der Regeln wegen ihres Vorhandenseins, nicht ihrer Rationalität wegen, die Unterordnung der Frauen, barbarische Bestrafungen.

So sei nicht nur die Überlieferung vom Leben des Propheten, sondern auch die gesamte Geschichte des Islam: ein einziges Blutvergießen, eine Abfolge von Eroberungen, Unterwerfungen, Massenmorden, Zwangsbekehrungen, Kreuzigungen und der Tötung von Kritikern, Skeptikern, Aufklärern, Häretikern. Selbst die Toleranz im maurischen Spanien war großteils nur nachträglich erfundene Illusion, so Warraq.

Die Fundamentalisten und die fanatischen Mullahs haben darum schon Recht, meint der Autor, wenn sie sich als die wahren Repräsentanten des Islam sehen. Allen Plädoyers für einen aufgeklärten Islam „liegt dieselbe Unredlichkeit zugrunde wie der Soft-Pornographie“. Nicht der Fundamentalismus, der gesamte Islam ist eine Bedrohung – „und zwar eine Bedrohung für Tausende von Muslimen“.

Der Islam ist unvereinbar mit Demokratie und Menschenrechten. Deswegen kann ein liberal gesinnter Mensch, so Ibn Warraq, kein Muslim sein, ja er muss sogar ein militanter Anti-Muslim werden. Beinahe ebenso wie die frömmelnden Fanatiker empört sich Ibn Warraq über einfühlende Orientalisten und westliche Multikulturalisten. Deren Nachsichtigkeit, deren kultureller Relativismus endet, auch aus Angst vor der „Kolonialismus-Keule“, in einem neuen Rassismus. Denn: Bei den Anderen wird toleriert, was man im eigenen Kreis nie zulassen würde.

Bedächtigkeit, Nachdenklichkeit, das Maßhalten sind Ibn Warraqs Sache gewiss nicht. Aber er belegt seine markanten Thesen mit einer Fülle an Material, er tischt gewissermaßen den Schädel jedes Enthaupteten auf. Seine Radikalität ist beeindruckend. Und er trägt sein Argument mit einer Nachdrücklichkeit und Verve vor, die einen nicht ruhig zurücklassen kann. Ein ganz wichtiges Buch. Man muss Ibn Warraqs Schlussfolgerungen nicht allesamt teilen. Aber man sollte sie gelesen haben.

ROBERT MISIK

Ibn Warraq: „Warum ich kein Muslim bin“. Aus dem Englischen von Abu Lahab al-Adjnabi. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2004, 522 Seiten, 28,90 Euro