Gottschalk sagt : Ab nach Berlin
Eine Zeit lang war das mein Lieblingswitz: „Berlin soll ja sooo spannend sein im Moment.“ Sobald mir jemand erzählte, er fahre nächste Woche nach Berlin, witzelte ich in übertriebenem Ton: „Berlin soll ja sooo spannend sein im Moment.“ Das kam eine Zeit lang ganz gut an, denn so sprach vor ein paar Jahren jeder. Inzwischen hat das Reden über Berlin ein bisschen nachgelassen. Ab und zu hört man von Achtzimmerwohnungen für 250 Euro im Monat oder von irgendwelchen Medienheimern, die dort einen Job kriegen. Ich weiß nicht, ob Berlin spannend ist. Ich glaube, man kann jeden Abend zu einer Wladimir-Kaminer-Lesung gehen und sich anschließend wahlweise von literaturinteressierten Osteuropäern, schwäbischen Studenten oder intellektuellen illegalen Kubanern unter den Tisch trinken lassen.
Als ich jetzt nach drei Wochen aus dem Urlaub zurück kam, fragte ich mal so rum, was denn hier so passiert sei und bekam die gewohnte Antwort: Nix. Außer: Eine Woche sei so richtiges Scheiß-Wetter gewesen, dann aber auch wieder gutes. Banausen. Alle Miteinander. Zumindest die Kölner. Ob es in der WAZ stand, weiß ich nicht. In den überregionalen? Kaum. Aber ihr Kölner: Diskutiert ihr nicht in den Cafés? An den Küchentischen? In der Mensa? Es gab eine Literaturdebatte! Im Kölner Stadt-Anzeiger! Unter der Überschrift „Literaturdebatte“ äußern sich Kölner Autorinnen und Autoren zum Thema: Ein Lyriker zieht von Köln nach Berlin. Quel Scandale! Er heißt Dieter M. Gräf und tut das nicht als Privatmensch, sondern als Literat, beleidigt also. Gräf findet die Kölner Literaturszene inzwischen doof. Früher war sie gut. Dies nimmt der Stadt-Anzeiger zum Anlass, andere Autoren darüber schreiben zu lassen, wie die Kölner Literaturszene so sei und nennt es eine Debatte. Manchmal glaube ich, Berlin ist doch spannend.
Hier war wohl gar nichts los, vielleicht ist dies die berühmte Ruhe vor dem Sturm. Die Stadt ist schließlich damit befasst, sich auf den Einmarsch der Katholiken vorzubereiten. Der Papst, der übrigens nie auf die Idee käme, aus dem Vatikan wegzuziehen, kommt und erlässt Sünden an der Zahl. Getaufte und gläubige Katholiken sollten am Wochenende noch mal richtig auf die Kacke hauen oder sich wenigsten ein paar unreine Gedanken machen, Mittwoch wird alles erlassen. Der Express berichtet: „Auf die Idee, einen Ablass zu gewähren, kam Papst Benedikt, nachdem ihn unzählige Pfarrer aus aller Welt darum gebeten hatten.“ Diese Schlawiner, die!
Fotohinweis: Christian Gottschalk lebt in Köln und sagt die Wahrheit – alle zwei Wochen in der taz nrw